02_In einem anderen Buch
gelernt hatte ich ihn auf
der Krim. Er war ein Kamerad meines Bruders gewesen und
hatte ein Bein bei den Kämpfen verloren. Aber ebenso wie ich
war er lebendig zurückgekommen. Mein Bruder dagegen war
immer noch auf der Krim und bereitete sich in einem Grab auf
einem Soldatenfriedhof in der Nähe von Sebastopol auf die
Ewigkeit vor.
Während sich Landen bemühte, meinem Dodo Pickwick das
Stehen auf einem Bein beizubringen, las ich ihm einen weiteren
Brief vor:
»Liebe Miss Next, ich bin eine Ihrer größten Bewunderinnen.
Ich finde, Sie sollten wissen, dass David Copperfield keineswegs
der sanftäugige Unschuldsknabe war, als der er immer dargestellt wird. Er hat vielmehr Dora Spenlow, seine erste Frau,
umgebracht, um Agnes Wickfield zu heiraten. Ich möchte
deshalb eine Exhumierung von Miss Spenlow anregen, deren
sterbliche Überreste unbedingt auf Botulismus und/oder Arsen
untersucht werden müssen. Und wo wir schon einmal dabei
sind: Wissen Sie vielleicht, warum Homer zwischen der Ilias
und der Odyssee seine Ansicht über Hunde so deutlich geändert
hat? Hat ihm vielleicht in der Zwischenzeit jemand einen Welpen geschenkt? Finden Sie den Ulysses von Joyce eigentlich
auch so langweilig wie ich? Und ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass in Hemingways Romanen keine Gerüche vorkommen?«
»Ach, herrje«, sagte Landen. »Jetzt musst du wohl als literarisches Auskunftsbüro herhalten und allen Leute ihre Lieblingsbücher erklären?« Er stand auf, streichelte mich am Hals und
flüsterte: »Könntest du dann bitte auch gleich dafür sorgen, dass
Tess freigesprochen wird und Max DeWinter dafür verurteilt?«
»Jetzt fang du nicht auch noch an!« Ich küsste ihn zärtlich,
nahm das Marshmallow aus seiner Hand und steckte es mir in
den Mund – sehr zu Pickwicks Empörung.
Landen griff in das Marshmallow-Glas und versuchte es weiter: »Na, los, Pickwick! Hoch das Bein, hoch!«
Aber Pickwick starrte immer bloß das Marshmallow an, das
Landen in seiner Hand hielt. Tricks interessierten ihn nicht.
Ich trank meinen Kaffee aus und zog mein Jackett an.
Landen begleitete mich an die Tür. »Schönen Tag«, sagte er.
»Sei nett zu den anderen Kindern. Kein Kratzen und Beißen.«
»Gut. Ich werd mich benehmen.« Ich schlang meine Arme
um seinen Hals und küsste ihn auf den Mund, bis ich aufhören
musste, weil meine Knie weich wurden. »Ach, und übrigens,
Landen: Vergiss nicht, dass heute Mycrofts Party ist.«
»Natürlich nicht.«
Es war Spätherbst oder Frühwinter, so genau konnte man das
nicht unterscheiden. Das Wetter war windstill und trocken; die
braunen Blätter hingen noch an den Bäumen, und an manchen
Tagen war es geradezu warm. Es hätte auch richtig kalt werden
müssen, ehe ich das Dach meines Porsche zugeklappt hätte.
Auch heute fuhr ich also mit dem Wind in den Haaren zum
SpecOps-Hauptquartier und ließ Radio Wessex 3 aus den
Lautsprechern plärren. In wenigen Wochen standen uns Wahlen bevor, und die Käsesteuern waren plötzlich zum Thema
geworden. Die Nachrichten waren voll davon. Außerdem ließ
die Goliath-Corporation verlauten, sie sei zum zehnten Mal
hintereinander »Beliebtester Konzern des Jahres« geworden,
und bei den Friedensverhandlungen hatten die Russen plötzlich
Kent als Reparationsleistung wegen des Krimkriegs verlangt.
Ich fuhr durch den Morgenverkehr und parkte hinter dem
Hauptquartier. Das Gebäude war einer jener hastig hochgezogenen deutschen Zweckbauten aus der Besatzungszeit. Die
Fassade zeigte noch die Einschläge von Kugeln, die bei der
Befreiung Swindons 1949 abgefeuert worden sein mussten. Im
Hauptquartier waren fast alle Sektionen von SpecOps untergebracht. Unsere Vampir-und WerwolfEntsorgung betreute auch
Salisbury und Reading, umgekehrt kümmerte sich die Sektion
KunstDiebstahl Salisbury auch um unser Gebiet. Es funktionierte alles recht gut.
»Guten Morgen!« sagte ich zu einem jungen Mann, der gerade einen Karton mit Akten aus seinem Kofferraum nahm. »Sind
Sie neu hier?«
»Ja, äh«, sagte er und stellte seinen Karton ab, um mir die
Hand zu schütteln. »John Smith – Weeds & Seeds.«
»Ungewöhnlicher Name. Ich bin Thursday Next.«
»Oh?« sagte er und musterte mich interessiert.
»Ja, genau. Die Thursday Next«, bestätigte ich. »Was ist denn
Weeds & Seeds?«
»Amt für GartenSchutz«, erklärte John. »SO-32. Ich mache
die örtliche Dienststelle auf. Die Zahl der Hacker hat sprunghaft
zugenommen. Vor allem
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