02 - Keiner werfe den ersten Stein
und schob die Handtasche heraus. Die anderen beiden Männer sahen neugierig zu, während er die Tasche öffnete und ausleerte. Langsam sortierte er die Gegenstände aus der Tasche, teilte sie in zwei Häufchen. Auf den einen legte er jene Dinge, die man normalerweise in fast jeder Damenhandtasche findet: einen Schlüsselbund an einem großen Messingring, zwei billige Kugelschreiber, ein angebrochenes Päckchen Kaugummi, ein Heftchen Streichhölzer und eine dunkle Brille in einem neuen Lederetui.
Die übrigen Gegenstände wanderten auf das zweite Häufchen. Zuerst blätterte Lynley das Scheckbuch durch, auf der Suche nach irgendwelchen ungewöhnlichen Eintragungen, aber er entdeckte nichts. Der Stand ihrer Finanzen hatte Joy Sinclair offenbar nur nebenbei interessiert, da sie in dem Buch seit mindestens sechs Wochen keine Abrechnung mehr gemacht hatte. In ihrer Brieftasche waren fast hundert Pfund in Scheinen, doch das interessierte Lynley nicht weiter. Weit neugieriger machten ihn die beiden letzten Gegenstände auf dem Häufchen - ein Terminkalender und ein Taschenrecorder.
Der Kalender war neu, kaum benutzt. Das Wochenende in Westerbrae war angekreuzt, ebenso ein Mittagessen mit Jeremy Vinney zwei Wochen zuvor. Andere Anmerkungen bezogen sich auf eine Theaterpremiere, einen Termin beim Zahnarzt, irgendein Jubiläum und drei Verabredungen, die mit »Upper Grosvenor Street« gekennzeichnet waren. Alle drei waren durchgestrichen, als wären sie nicht eingehalten worden. Lynley blätterte zum nächsten Monat, fand nichts, blätterte wieder um. Hier war quer über eine ganze Woche »P. Green« geschrieben, und in der Woche danach stand »Kapitel 1-3«. Dann folgte nur noch ein Eintrag am fünfundzwanzigsten, »S. Geburtstag«.
»Constable«, sagte Lynley nachdenklich, »ich würde die Sachen gern hierbehalten. Die Tasche selbst können Sie mitnehmen. Würden Sie das mit Inspector Macaskin abstimmen, ehe er fährt?«
Der Constable nickte und ging. Lynley wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann nahm er den Taschenrecorder und schaltete ihn mit einem Blick zu St. James ein.
Sie hatte eine angenehme Stimme, dunkel und melodisch, eine Stimme, die lockte, die jenes unbewußt sinnliche Timbre besaß, die manche Frauen als einen Segen betrachteten, andere als eine Last. Die Aufnahme bestand aus einzelnen kurzen Teilen in unterschiedlichem Tempo, von unterschiedlicher Stimmung, vor unterschiedlichem Hintergrund - Verkehrslärm, das Rattern der U-Bahn, Musik - als hätte sie den Taschenrecorder schnell aus der Handtasche genommen, um einen plötzlichen Gedanken festzuhalten, sobald er ihr gekommen war.
»Edna mindestens noch zwei Tage hinhalten. Es gibt nichts zu berichten. Vielleicht glaubt sie mir, wenn ich sage, ich hätte Grippe gehabt ... Der Pinguin! Sie hat Pinguine immer geliebt. Das ist genau das Richtige ... Mama unbedingt an Sally erinnern, sonst vergißt sie's wieder ... John Darrow glaubte das Beste von Hannah, bis die Umstände ihn zwangen, das Schlimmste zu glauben ... Karten besorgen und eine anständig!Unterkunft. Diesmal einen dickeren Mantel mitnehmen ... Jeremy. Jeremy. Warum sich seinetwegen in solche Unruhe stürzen? Das ist doch kaum eine Sache fürs Leben ... Es war dunkel, und obwohl der winterliche Sturm ... wunderbar, Joy. Fang doch einfach mit einer dunklen, stürmischen Nacht an, und vergiß die ganze Kreativität ... Erinnere dich an den besonderen Geruch: verrottendes Gemüse und Holz, das vom letzten Sturm den Fluß hinuntergetrieben wurde ... Das Quaken der Frösche, das Keuchen der Pumpen und das endlose flache Land ... Ich könnte Rhys fragen, wie ich ihn anpacken soll. Er kann mit Menschen umgehen. Er hilft mir sicher ... Rhys möchte -«
An dieser Stelle schaltete Lynley das Gerät aus. Als er den Kopf hob, sah er, daß St. James ihn beobachtete. Um Zeit zu gewinnen, ehe das Unvermeidliche zur Sprache kam, sammelte Lynley die Gegenstände ein und steckte sie alle in den Plastikbeutel, den St. James aus dem Koffer geholt hatte. Er knotete ihn zu und trug ihn zur Kommode.
»Warum hast du Davies-Jones nicht verhört?« fragte St. James.
Lynley kehrte zum Fußende des Bettes zurück, wo sein Koffer auf dem Bock lag. Er klappte ihn auf, nahm seinen Abendanzug heraus, während er überlegte, wie er die Frage des Freundes beantworten sollte.
Es wäre einfach gewesen zu sagen, daß die Umstände ihm nicht erlaubt hatten, Davies-Jones zu verhören, daß die Dinge sich
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