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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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aufzutreiben, der ihr bis zum Morgen wenigstens ein bißchen Wärme spenden würde.

9
    Barbara Havers blieb in der breiten Auffahrt stehen. In der Nacht hatte es wieder geschneit, zwar nur leicht, doch genug, um einen Spaziergang durch den Park feucht, kalt und unangenehm zu machen. Dennoch war sie nach einer fast schlaflosen Nacht kurz nach Tagesanbruch aufgestanden und losgegangen, durch den frischen Schnee gestapft, um den Konflikt zu klären, der sie quälte.
    Die Logik sagte Barbara, daß sie in erster Linie New Scotland Yard verpflichtet war. Wenn sie sich jetzt an die Vorschriften und die Dienstordnung hielt, würde das die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß sie das nächste Mal, wenn die Stelle eines Inspectors frei wurde, befördert werden würde. Sie hatte erst vor kurzem die Prüfung gemacht - sie war sicher, sie diesmal bestanden zu haben -, und bei den letzten vier Fortbildungskursen hatte sie mit den besten Noten abgeschlossen. Die Zeit war also reif für eine Beförderung, wenn sie sich nur in dieser Sache hier klug verhielt.
    Thomas Lynley war es, der alles so schwierig machte. Barbara hatte praktisch jede Arbeitsstunde der letzten fünfzehn Monate mit ihm zusammen verbracht und war sich deshalb der Qualitäten, die ihn zu einem hervorragenden Polizisten machten, wohl bewußt. Er besaß eine schnelle Auffassungsgabe und ein scharfes Gespür, er war menschlich und humorvoll, ein Mann, der bei seinen Kollegen beliebt war und das Vertrauen Superintendent Webberlys genoß. Barbara wußte, daß sie sich glücklich schätzen konnte, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Er duldete ihre Launen, hörte sich mit beinahe stoischer Ruhe ihre Zornausbrüche an, selbst wenn sie gegen ihn persönlich gerichtet waren, und ermutigte sie dennoch, kritisch und selbständig zu denken, ihre eigene Meinung zu äußern un!nicht, damit hinter dem Berg zu halten, wenn sie die Dinge anders sah als er. Nie hatte sie einen verständnisvolleren Vorgesetzten gehabt, und sie stand nicht nur beruflich, sondern auch persönlich tief in seiner Schuld.
    Jetzt mußte sie entscheiden, was ihr wichtiger war, Lynley oder ihre berufliche Karriere. Bei ihrer morgendlichen Wanderung durch den Wald nämlich war sie ganz zufällig auf etwas gestoßen, daß ihrer Meinung nach unzweifelhaft zur Geschichte des Falles gehörte, den sie hier zu klären versuchten. Und nun mußte sie entscheiden, was sie mit dieser Entdeckung anfangen wollte. Mehr noch - ganz gleich, wie sie sich entschied, sie mußte sich über die Tragweite ihrer Entscheidung völlig im klaren sein.
    Die Luft biß vor Kälte. Barbara spürte es in Nase und Hals, in den Ohren und Augen. Dennoch atmete sie mehrmals tief durch, die Augen gegen das grelle Licht des sonnenfunkelnden Schnees zusammengekniffen, ehe sie weiterging, an einer Stufe der breiten Steintreppe ihre Schuhe abklopfte und in die große Empfangshalle von Westerbrae trat.
    Es war fast acht. Das Haus war aufgewacht. Von oben hörte sie Schritte, Schlüsselknirschen, das Klappern von Türen. Der Geruch von gebratenem Schinken und dampfendem Kaffee verlieh dem Morgen einen Anschein heimeliger Alltäglichkeit - als wären die Ereignisse der vergangenen zweiunddreißig Stunden nur Teil eines langen Alptraums gewesen -, und aus dem Salon kam gedämpftes Stimmengemurmel. Als Barbara hineinging, fand sie dort Helen und St. James an einem Tisch in der Morgensonne beim Kaffee. Sie waren allein. Während Barbara noch an der Tür stand, sah sie, wie St. James kurz den Kopf schüttelte und einen Moment lang seine Hand auf Helens Schulter legte. Es war eine sehr behutsame Geste des Verständnisses und der Freundschaft, und Barbara schoß bei diesem Anblick der Gedanke durch den Kopf, wie leicht es doch war, eine Entscheidung zu treffen. Es gab überhaupt keine Wahl zwischen Lynley und ihrer Karriere. Ohne ihn gab es für sie keine Karriere. Sie ging durch das Zimmer an den Tisch.
    Helen und St. James sahen aus, als hätten sie eine unruhige Nacht hinter sich. Die Linien in St. James' Gesicht waren schärfer als gewöhnlich, und Helens feine Haut sah beinahe durchsichtig aus.
    »Würden Sie mal mit mir rauskommen?« fragte sie die beiden. »Ich habe im Wald was entdeckt und glaube, Sie sollten es sich ansehen.«
    St. James' Miene verriet, daß er sich außerstande sah, bei dem Schnee vor die Tür zu gehen, doch Barbara versuchte eilig seine Zweifel zu zerstreuen.
    »Es gibt einen gepflasterten Weg. Und im Wald hab ich den Schnee

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