02 - komplett
kann ich nicht!“
„Nun, aber Sie sitzen doch auf meinem Schoß. Im Vergleich dazu ist es wirklich nicht schwer, mich beim Vornamen zu nennen.“
„Das kann man wohl sagen! Mylord ... Guy ... bitte lassen Sie mich los.“
„Selbstverständlich.“ Er breitete die Arme aus und fügte schmunzelnd hinzu: „Sehr schade, denn ich muss zugeben, ich habe Vergnügen daran gefunden.“
Hester war gerade dabei, eher hastig als anmutig auf die Beine zu kommen, erwiderte jedoch sein Zwinkern. „Ich auch. Es ist ein wirklich schockierendes Eingeständnis, aber wissen Sie, es fühlte sich so schön an, sich endlich einmal wieder beschützt zu fühlen.“
Guy stellte fest, dass er lächelte, während sie sich artig neben ihn setzte und die Röcke schicklich um ihre Beine drapierte. Sie war bezaubernd – diese Offenheit, der schelmische Blick. Und dennoch würde er tausend Sovereigns darauf wetten, dass sie nicht mit ihm flirten wollte. Sie war lediglich ehrlich und ungestüm, und der Schreck steckte ihr noch in den Gliedern.
Sie verschränkte die Hände fest im Schoß. „Ich muss Ihnen danken, dass Sie heute Morgen gleich zwei Mal zu meiner Rettung herbeigeeilt sind, Mylord. Guy.“
„Es war mir ein Vergnügen. Wollen Sie mir nicht verraten, was Sie so sehr an jenem Zimmer erschreckt?“
Sie zögerte nur kurz. „Ich beginne vielleicht besser mit einer kleinen Geschichte.“
„Sie kennen die Geschichte des Hauses?“, fragte Guy in scharfem Ton. Als er die Überraschung in Hesters Augen sah, verwünschte er innerlich seine Dummheit.
„Nein, überhaupt nicht. Ich wollte nur erklären, dass es seit fünfzig Jahren leer steht.
Trotzdem ist es im Wesentlichen gut erhalten – das Dach ist intakt, die Fenster sind von Zeit zu Zeit gereinigt worden, und in den Kaminen muss regelmäßig ein Feuer entzündet worden sein, um die Feuchtigkeit fernzuhalten. Allerdings hat niemand hier gewohnt. Und das verstehe ich nicht.“
„Hat man Ihnen keine Erklärung dafür gegeben?“
„Keine.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sir Edward Nugent war bereits kränklich, als er beschloss, es zu verkaufen, und mein Verwalter hat ausschließlich mit seinem Makler verhandelt. Wir haben natürlich gefragt, bekamen aber nur die Antwort, dass er in all der Zeit keinen passenden Käufer gefunden hatte. In jedem Fall wollte ich das Haus so sehr, dass mich nichts abgehalten hätte – nicht einmal die Verhandlungen, die sich unendlich in die Länge zogen.“
Guy unterdrückte einen Fluch. Offenbar hatte er die Gelegenheit, das Haus zu kaufen, nur knapp verpasst. „Erzählen Sie weiter“, drängte er sie und genoss es trotz seiner Verärgerung, ihr ernstes Gesicht zu betrachten.
„Also waren wir nicht sehr überrascht, das Haus in einem solchen Zustand vorzufinden. Überall lag Staub, und die Einrichtung besteht aus einem sehr seltsamen Sammelsurium altmodischer Möbel.“
„Würde mich nicht wundern, wenn ich den größten Teil davon gestern bereits gesehen hätte.“
„In der Tat“, gestand Hester zerknirscht. „Es ist mir offenbar doch nicht gelungen, einen respektablen Eindruck auf meinen ersten Besucher zu machen. Wie auch immer, das Haus erstickte vielleicht im Staub, aber alles war an seinem Platz. Nur in diesem Zimmer nicht.“ Sie sah zaghaft zum Ankleideraum hinüber.
„Was fanden Sie dort?“ Behutsam nahm er ihre Hand und spürte ihren Puls rasen.
„Jemand hatte es durchwühlt. Der Schrank stand offen, die Schubladen waren herausgerissen. Einen Stuhl hatte man umgeworfen und der Spiegel lag zerbrochen auf dem Boden. Und einer der Vorhänge hing halb herunter, als hätte jemand sich daran geklammert. Die Perlen waren überall verstreut. Dann entdeckte ich noch ein zerrissenes Nachtkleid. Und ...“ Sie brach ab.
„Und?“, drängte Guy sie sanft.
„Die Wand war mit Blut beschmiert.“
Erst als seine Finger sich heftig um ihr Handgelenk schlossen, bemerkte Hester, dass Guy ihre Hand hielt. Eigentlich hatte sie erwartet, er werde sie beruhigen und behaupten, es müsse sich um einen Weinfleck gehandelt haben. Sie war nicht darauf vorbereitet, ihn erblassen zu sehen.
„Mylord?“
„Vergeben Sie mir. Das muss in der Tat eine sehr unerfreuliche Entdeckung gewesen sein. Wo ist das Blut?“ Er gab sie frei und erhob sich. Keine Gefühlsregung heftigerer Art war ihm mehr anzumerken.
„Jethro hat es übermalt. Wir haben aufgeräumt, und ich schlafe seit zwei Nächten in diesem Zimmer. Bisher glaubte ich an eine
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