02 - komplett
sehen.“ Dabei schenkte er Ruth ein nonchalantes Lächeln.
Erst jetzt merkte sie, dass sie unwillkürlich die Luft angehalten hatte. Erleichtert wandte sie sich um und nickte Rosie zu, die augenblicklich auf sie zugeeilt kam und hastig knickste.
„Verzeihung, Madam ... Sir ...“ Schüchtern sah sie Ruth an. „Die Herrin hat mich schon vor einiger Zeit gebeten, nach James zu sehen. Aber als ich nachschauen wollte, haben Sie und der Kleine geschlafen, und die Herrin sagte, ich soll Sie in Ruhe lassen.“
Beruhigend lächelte Ruth sie an. Sie merkte, dass die junge Frau sich in Gegenwart des gut aussehenden Gentleman gehemmt fühlte. Ständig warf sie ihm von der Seite befangene Blicke zu und wusste offensichtlich nicht recht, wohin mit ihren Händen.
Ruth legte ihr den Säugling in die Arme. „Sie kommen zur rechten Zeit. James müsste frisch gewickelt werden.“
Mit geübtem Griff legte Rosie ihn an ihre Schulter und strich ihm sanft über den hellen Haarflaum. „Komm, mein Kleiner“, murmelte sie. „Dann wollen wir uns mal um dich kümmern.“
Nachdem das Kindermädchen mit seinem Schützling verschwunden war und Ruth und Sir Clayton sich erneut allein fanden, versuchten sie beide, das Schweigen mit einer Bemerkung zu überspielen.
„Ich dachte, das hätten wir längst hinter uns gelassen ...“
„Bleiben Sie lang in Willowdene ...?“
Sie hatten ebenso gleichzeitig gesprochen, wie sie nun gleichzeitig verstummten.
„Bitte sagen Sie, was Sie sagen wollten, Sir“, sagte Ruth.
„Nichts Wichtiges, nur eine Bemerkung über das ungewöhnlich kalte Wetter für diese Jahreszeit. Ich dachte, wir hätten Schnee und Frost bereits hinter uns gelassen.
Noch vor wenigen Tagen haben wir in London die ersten Krokusse bewundert.“
„Hier auf dem Land ging es uns nicht anders“, stimmte Ruth ihm schnell zu. Gab es ein unverfänglicheres Thema als das Wetter? Bereitwillig nahm sie seinen Gesprächsfaden auf und spann ihn weiter. „Allerdings hört man gar nicht so selten von Schneefällen im späten Februar. Ich erinnere mich, dass meine Mutter mir immer erzählte, im Jahr meiner Geburt hätte es um diese Zeit sogar Schneestürme gegeben. Der Arzt musste sich buchstäblich einen Weg zu unserem Haus bahnen und wäre zu meiner Ankunft auf dieser Erde beinahe zu spät gekommen.“
„Dann haben Sie also kürzlich Geburtstag gefeiert, Mrs. Hayden“, bemerkte Clayton lächelnd.
„Nein, er steht noch bevor – nächste Woche“, erwiderte Ruth. Plötzlich wünschte sie, sie könnte die eben erzählte Anekdote zurücknehmen. Sie kam ihr auf einmal viel zu persönlich vor. In die erwartungsvolle Stille hinein sagte sie abwehrend: „Am fünfundzwanzigsten werde ich neunundzwanzig.“
„Tatsächlich?“ Sir Clayton quittierte ihre Worte mit einem charmanten Lächeln, aber die Aussage schien ihn zu überraschen. „Dann sind Sie, verglichen mit mir, nichts als ein Küken. Ich werde im November fünfunddreißig.“
„Das heißt, dass Sie entweder unter dem Sternzeichen des Skorpions oder unter dem des Schützen geboren wurden“, bemerkte sie, dankbar für die Gelegenheit, von ihrer Person abzulenken.
„Das mag durchaus sein, aber ich interessiere mich nicht sonderlich für den Lauf der Sterne und ihre Bedeutung.“
„Oh, ich dagegen finde Himmelskunde durchaus fesselnd.“
„Mein Sinn ist eher auf irdische Vergnügungen gerichtet.“
Wieder spürte Ruth, wie sie errötete. Schnippisch gab sie zurück: „Schützen gelten als genusssüchtig. Ich darf also vermuten, dass Ihr Geburtstag in das letzte Novemberdrittel fällt.“
Ohne auf ihren herausfordernden Ton einzugehen, sagte er lächelnd: „Ich habe Sie eben unterbrochen. Wollten Sie nicht wissen, wie lange ich in Willowdene zu bleiben gedenke?“
„Ja ... ja, das stimmt.“ Ruth hoffte nur, dass er nicht glaubte, die Länge seines Aufenthalts bedeute ihr etwas.
„Vermutlich haben Sie eher aus Höflichkeit denn aus Neugier gefragt“, setzte Clayton hinzu.
Als sie den spöttischen Unterton in seinen Worten wahrnahm, hob Ruth das Kinn.
„Selbstverständlich. Und wir dürften wohl noch ein paar weitere Themen für höfliche Konversation benötigen, während wir auf unsere Gastgeber warten.“
Clayton lachte. „Das stimmt, und nicht zu wenige. Es würde mich keineswegs überraschen, wenn das glückliche Paar noch eine ganze Weile mit ... äh, dem Austausch von Neuigkeiten beschäftigt wäre.“
Obwohl ihre Wangen vor Verlegenheit
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