02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
Obdach?«
Annies Schultern sackten nach vorn, ihr Körper versteifte sich. »Scheiße, ich bin noch nicht einmal einen Tag hier, und schon willst du mich wieder loswerden.« Sie stellte den Becher auf den Couchtisch und erhob sich.
»Fang nicht wieder so an«, sagte Heather. »Ich versuche nicht, dich loswerden. Du bist in mein Haus eingebrochen, und ich will wissen, ob du einen Plan hast. Was ist mit deiner Wohnung in Portland? Ziehst du hierher? Wie sieht es mit Arbeit aus? Mit deinen Medikamenten? Der Therapie?«
»Oh, ich verstehe.« Annie drehte sich um, die Fäuste geballt. »Lobotomisieren wir Annie am besten. Das würde alles viel einfacher für dich machen, nicht?«
Heather hob Eerie hoch und setzte ihn auf ein Kissen neben ihr. »Hör auf, alles absichtlich misszuverstehen! Es geht nicht um mich!«
»Klar. Mhm.« Annie zeigte mit dem Mittelfinger auf den Stapel von Papieren und Bildern. »Diese tote Schlampe ist dir wichtiger als ich.«
Wut katapultierte Heather vom Sofa hoch. »Hör auf, Annie!«, flüsterte sie gepresst. »Hör sofort auf.«
»Dir sind nur die Toten wichtig! Nur an die denkst du! Nur über die redest du!«, brüllte Annie. »Vielleicht, wenn ich tot wäre …«
Heather packte sie an den Schultern. »Sag das nicht!«
»Aber es stimmt!« Sie schlug mit einer Faust gegen Heathers Schulter. »Was, wenn du stürbest? Hä? Was, wenn du stürbest und mich ganz allein zurückließest?«
Heathers Schulter schmerzte. Aber Annies Worte hatten sie schwerer getroffen als ihr Schlag. Die Worte bohrten sich in ihr Herz und raubten ihr einen Augenblick lang den Atem. Was, wenn du stürbest?
Sie schlang die Arme um Annie und zog ihren verspannten, widerstrebenden Körper an sich. Umarmte sie fest. »Es ist alles in Ordnung. Wir finden eine Lösung. Du weißt doch, ich
würde dich nie im Stich lassen. Es ist nur so, dass derzeit nicht sicher ist …«
»Lass Mom in Frieden ruhen, Heather. Lass Mom tot sein, damit wir wieder eine Familie sein können.«
Heather erstarrte. Ihr war plötzlich eiskalt, als sei in ihr der Winter ausgebrochen – grau und klirrend kalt.
Ich möchte, dass wir wieder eine Familie sind. Wir alle. Grab die Vergangenheit nicht wieder aus, Heather. Schau in die Zukunft, und lass den Toten ihren Frieden.
Vielleicht war niemandes Telefon abgehört worden.
Sie hatte nur einem Menschen erzählt, was Dante getan hatte. Sie hatte Annie ihre Geheimnisse und ihr Innerstes anvertraut, da sie geglaubt hatte, dass sie, die ihr immer wieder ihre Sehnsüchte und verrückten Begierden zuflüsterte, jemand wäre, der sie nicht verurteilte. Heather hatte geglaubt, ihre einander gestandenen Geheimnisse würden das Band zwischen ihnen stärken – zwischen Schwestern und Überlebenden.
Ich bin froh, dass dich Prejean gerettet hat.
Wie viele Geheimnisse hatte Annie im Laufe der Jahre verraten?
Heather hielt Annie weiter fest. Sie fühlte sich wie betäubt, während die Rädchen in ihrem Hirn wie verrückt ratterten. Zum ersten Mal in ihrem Leben war ihr klar, wie allein sie tatsächlich war.
21
IM DRECK
Damascus, Oregon · 23. März
Alex vergrub die letzten Reste von Athenas jüngstem Experiment und klopfte dann mit dem Schaufelblatt die Erde wieder glatt. Schweiß lief ihm in die Augen. Er richtete sich auf, wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn und drückte den Rücken durch, um die steifen Muskeln zu lockern. Gierig sog er die nach Kiefern und Flusswasser duftende Luft ein, um den Geruch des geschmolzenen Fleisches aus der Nase zu bekommen.
Er schulterte die Schaufel und kehrte zum Haus zurück, um zu duschen. Nachdem er seine Haare trockengerubbelt hatte, zog er Jeans und ein schwarzes Inferno-T-Shirt an, auf dem über dem Herzen »Burn« stand. Er schnürte seine Rippers-Schuhe zu, schlüpfte in seine Kapuzenjacke und folgte dann dem Flüstern Athenas, das wieder einmal wie Wind durch die Bäume zu rauschen schien.
Sie saß im Schneidersitz auf der Couch im Wohnzimmer, wo die Vorhänge geschlossen waren und das in ein dämmriges Zwielicht getaucht war. Das weiße Licht des aufgeklappten Laptops spielte auf ihrem Gesicht und funkelte in ihren Augen. Ihre Lippen bewegten sich unablässig, während sie vor sich hin murmelte.
»Ich fahre jetzt nach Seattle«, sagte Alex und blieb vor der Couch stehen. Ein leuchtend himmelblaues Licht huschte über
Athenas fasziniert starrende Miene, als sie wieder einmal zusah, wie Dante Johanna Moore auflöste. Alex vermutete, dass
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