02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
gelernt, damit zurechtzukommen – wie die meisten Leute, die tagsüber arbeiteten. Hatte Dante, als er sie geheilt hatte, etwas in ihr verändert? Der Gedanke ließ sie innehalten.
Mantra: eins nach dem anderen.
Heather holte tief Luft und schob den beängstigenden Gedanken beiseite. Sie wusste, dass sie sich später genauer damit auseinandersetzen musste. Sie trat auf den Gang und roch frisch gekochten Kaffee. Ein angenehmer Geruch.
Sie blieb im Flur stehen und fuhr sich mehrfach mit den Fingern durchs Haar, ehe ihr klarwurde, dass sie versuchte, Kraft zu sammeln – für Annie.
Doch statt weiterzugehen, schloss sie die Augen. Unsicherheit und Verzweiflung nagelten sie auf den Boden. Konnte sie Annie helfen? Allmählich blieben ihr nicht mehr viele Möglichkeiten, und die Hoffnung begann sie auch zu verlieren. Natürlich würde ihr die Wahrheit über die Mutter eventuell auch einen Einblick in Annie geben. Aber reichte das, um sie zu retten?
Shannons selbstquälerischer Gedanke hallte in ihr wider: Habe ich sie verloren?
Heather öffnete die Augen. Nein. Ich kann nicht. Ich will nicht. Sie schob ihre Zweifel beiseite und betrat das Esszimmer. Annie saß im Schneidersitz auf dem Boden vor der Couch und blätterte eines von Heathers Büchern über Vampire durch, das den Titel Während wir schlafen trug. Auf dem Couchtisch stand ein Kaffeebecher.
Annie sah auf. »Guten Morgen. Kaffee ist in der Küche.«
Heather nickte grinsend. »Ja, dir auch einen guten Morgen, und danke.« Sie ging in die Küche, wo sie einen Becher aus dem Schrank holte und sich Kaffee eingoss. Sie tat Zucker und fettarme Milch hinein. Sie rollte sich auf der Couch zusammen und fragte: »Wie geht es dir? Keinen Kater?«
Annie klappte das Buch zu und legte es wieder auf den Couchtisch. Sie zuckte die Achseln. »Mir geht es gut.« Sie warf Heather einen Blick über die Schulter zu, wobei ihr die blauen, schwarzen und amethystfarbenen Strähnen ins Gesicht fielen. »Tut mir leid wegen gestern Abend … all die Sachen, die ich über Mom gesagt habe. Nachdem ich diese Bilder gesehen habe … ich meine, ich hätte nie gedacht …«
»Ich weiß«, unterbrach Heather sie. »Nichts kann einen auf die Wirklichkeit vorbereiten.«
Annies Entschuldigung verblüffte sie. Gewöhnlich, wenn sie die Kontrolle verloren und alles um sie herum angegriffen oder kurz und klein geschlagen hatte, tat sie hinterher, als wäre nichts passiert. Oder entschuldigte es damit, betrunken gewesen zu sein.
»Wie gehst du damit um? Ich meine, mit dem Anblick von Leichen? Ist das nicht manchmal schrecklich?«
»Sicher, von Zeit zu Zeit macht es mich fertig. Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, wie ich damit fertig werde, ich tue es einfach.« Heather trank einen Schluck Kaffee und setzte hinzu: »Ich muss, wenn ich herausfinden will, wer sie umgebracht hat.«
»Aber Mom ist schon seit einer halben Ewigkeit tot«, sagte Annie und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Warum fängst du jetzt plötzlich an zu graben?«
»Weil ich jemanden kennengelernt habe, der für sein Mutter gesprochen hat, und mir wurde klar, dass niemand – nicht einmal Dad – je das Wort für sie ergriffen hat.«
»Wen?«
»Dante.«
»Seine Mutter wurde auch getötet?«, fragte Annie. Sie wickelte eine Locke hinter ihr Ohr, so dass man die vielen kleinen Ohrstecker sah. Ihr Gesichtsausdruck wirkte nachdenklich. »Kein Wunder …«
»Kein Wunder was?«
»Nichts.« Annie schüttelte den Kopf. »Er ist ganz anders als die anderen Typen, mit denen du zusammen warst. Ich meine, außer der Tatsache, dass er ein verdammter Vampir ist.«
»Stimmt.«
»Er sieht so jung aus. Stehst du jetzt auf Knaben oder ist er in Wirklichkeit Hunderte von Jahren alt?« Annie sah Heather fragend an. Die Ringe in ihren Brauen blitzten im Sonnenlicht.
»Danke, vielen Dank, Fräulein Sechsundzwanzig. Warte nur, bis du einunddreißig bist. Er ist dreiundzwanzig, also kein Jugendlicher mehr, und außerdem sind wir kein Paar.«
»Oh, entschuldige«, antwortete Annie. »Ihr schlaft nur miteinander. «
»Gut, wechseln wir das Thema«, sagte Heather. Eerie hüpfte aufs Sofa und setzte sich schnurrend auf ihren Schoß. Seine warme Anwesenheit hatte etwas Beruhigendes. Sie stellte den Kaffeebecher auf die Armlehne der Couch und begann, ihn zu streicheln, indem sie mit der flachen Hand über sein glattes seidiges Fell fuhr. »Wie sehen deine Pläne aus? Ist das nur ein Besuch oder suchst du hier nach einem
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