02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
anspannte. »Ich gehe rein.«
»Roger«, antwortete Beck, der offenbar endlich in den Arbeitsmodus umgeschaltet hatte. Er berührte den Knopf in seinem Ohr. »Ich gebe dir ein Zeichen, wenn Alex zurückkommt.«
Sie steckte ihr Fernglas und ein paar andere Dinge ein und machte sich auf den Weg den Hügel hinab. Ihre Pistole hielt sie in der rechten Hand.
Wells setzte sich hinter seinen Schreibtisch und lehnte das Gewehr dagegen. Eine Diashow mit Bildern der Familie lief über den Bildschirm seines Rechners: Gloria am Strand von Lincoln City, die Zwillinge als hellblonde Kleinkinder mit einer lachenden Gloria. Zum ersten Mal seit Monaten wurde der tiefe Schmerz in seiner Brust etwas leichter.
Gloria würde bald wieder lachen. In wenigen Stunden würde Alex gewährleisten, dass S die Nachricht auf dem iPod hörte. Dann würde S – atemberaubend hübsch und todbringend – in Aktion treten, und seine Zielperson, Senior Agent Alberto Rodriguez, musste sterben. Hoffentlich unter größtmöglichen Schmerzen, und wenn Rodriguez in das blasse, gnadenlose Gesicht S’ schaute, würde er wissen, wer ihn geschickt hatte und warum.
Sobald Alex S nach Hause gebracht hatte, würde Dante für immer verschwinden. Wells würde S den Befehl geben, Gloria zu heilen, um so seine himmlische Persephone noch einmal dem gierigen Maul des Hades zu entreißen und Wells seine lachende Braut zurückzugeben.
Dunkle Erregung breitete sich in ihm aus. Er drückte eine Taste, und die Fotoreihe verschwand. Er ging seine Dateien
durch, klickte auf eine mit dem Namen »S« und öffnete sie. Er machte es sich auf seinem Stuhl bequem und sah zu, wie die Bilder auf seinem Monitor erschienen.
Eingesperrt in einen Hasenkäfig sieht der kleine Junge mit dem schwarzen Haar, das sich in seinem blassen Nacken kringelt, zu, wie seine wenigen Spielzeuge eines nach dem anderen ins Feuer geworfen werden. Die betrunkenen Pflegeeltern, die Wells’ Anweisungen folgen, erklären dem Kind, es sei seine Schuld, wenn die Spielsachen nun verbrennen.
»Du warst ein böser Junge. Ein böser, böser Junge. Das ist alles deine Schuld. Deine Schuld.«
Eine kleine Plastikgitarre schmilzt in den Flammen. Ein Ball erleidet dasselbe Schicksal. Doch als das letzte Spielzeug, eine zerknautschte, zerbissene Plüschschildkröte über dem Feuer baumelt, befreit sich der kleine Junge mit aller Kraft aus dem Käfig. Seine winzigen Reißzähne blitzen im Licht der Flammen auf, als er die Schildkröte der Hand seiner Pflegemutter entreißt.
»Verdammte Scheiße!«, brüllt der Pflegevater. Dann erholt er sich von seinem Schock und packte das Kind. Dessen Hand mit der Schildkröte wird in die Flammen gehalten.
Das sollte jetzt mal jemand versuchen, grübelte Wells. Er durchsuchte die Datei nach weiteren hübschen Erinnerungen. Plötzlich hielt er inne. Hatte gerade jemand die Haustür aufgemacht? Der Alarm begann rasend schnell zu piepsen, und Wells zersprang vor Aufregung beinahe das Herz. Sein Puls raste so, dass ihm alles vor Augen verschwamm. Er senkte den Kopf, rang nach Luft und dachte: Na toll. Nach all den Vorbereitungen beginnst du zu keuchen wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Als er mit zitternden Händen nach dem Gewehr griff, hörte das rasende Piepsen auf. Wells hielt die Waffe in der Hand und lauschte angestrengt. Nach einem Augenblick hörte er ein leises Geräusch – wie das Rascheln von Wind in den Bäumen.
Er atmete erleichtert auf. Athena. Mit bebender Hand fuhr er sich über die schweißnasse Stirn. Das Flüstern folgte seiner Tochter den Gang entlang. Sie wiederholte immer wieder dieselben Worte, bis er sie schließlich verstand.
»Dreiineinsdreiineinsdreiineinsdreiineinsdreiineinsdreiineinsdreiineinsdreiineinsdreiin eins …«
Plötzlich lief es ihm kalt den Rücken hinunter: Wie hatte Athena die Alarmanlage ausgeschaltet? Selbst Alex wusste nicht, dass er den Code geändert hatte. Noch nicht.
Noch immer flüsternd betrat Athena sein Arbeitszimmer. Ihre schlammigen nackten Füße verteilten Erde auf dem hellen Teppich. Sie ging an seinem Schreibtisch vorbei. Ihre Hände hatte sie in den Taschen ihres bespritzten, fleckigen Arztkittels.
»Athena«, sagte Wells und klemmte sich das Gewehr unter den Arm, während er parallel nach dem PSI-Blocker in seiner Hosentasche tastete. Das Geflüster hörte auf. »Was tust du hier?« Er drehte sich auf seinem Stuhl zu ihr um.
Athena stand vor seiner Sammlung altertümlicher Speere, Schilde und Brustpanzerungen.
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