02 Titan
anderen Mitgliedern des Priesterkollegiums. Doch dann, etwa eine Woche nach Pius’ Bestattung, als er zusammen mit den anderen vor dem Senatsgebäude auf den Sitzungsbeginn wartete, kam er zufällig mit Catulus ins Gespräch und fragte ihn beiläufig, ob über die Nachfolge schon entschieden sei.
»Nein«, sagte Catulus. »Das wird wohl noch ein bisschen dauern.«
»Ach ja? Warum?«
»Wir hatten gestern ein Treffen und haben uns darauf verständigt, da zwei Kandidaten mit ebenbürtigen Verdiensten zur Wahl stehen, auf das alte Verfahren zurückzugreifen und das Volk entscheiden zu lassen.«
»Ist das klug?«
»Oh, ich denke schon«, sagte Catulus, tippte sich mit dem Finger an die spitze Nase und lächelte ihn auf seine typisch schmallippige Art an. »Ich glaube nämlich, dass ich in der Stammesversammlung gewinne.«
»Und Isauricus?«
»Der glaubt, dass er gewinnt.«
»Na ja, dann wünsche ich euch beiden viel Glück. Wer auch gewinnt, der Sieger heißt Rom.« Cicero hatte sich schon zum Gehen gewandt, da hielt er plötzlich inne und runzelte die Stirn. Er drehte sich wieder zu Catulus um. »Eine Frage noch, wenn du gestattest? Von wem kam der Vorschlag, das Stimmrecht auf die Stammesversammlung auszuweiten?«
»Von Caesar.«
Obwohl das Lateinische reich an Feinheiten und Metaphern ist, fehlen mir die Worte, in unserer Sprache wie auch im Griechischen, um Ciceros Gesichtsausdruck in diesem Augenblick zu beschreiben. »Bei allen Göttern!« Er wirkte
bis ins Mark erschüttert. »Hältst du es für möglich, dass er vorhat, selbst anzutreten?«
»Natürlich nicht. Ein lächerlicher Gedanke. Er ist viel zu jung. Sechsunddreißig. Er ist ja noch nicht einmal Prätor gewesen.«
»Sicher, sicher, trotzdem wärt ihr meiner Meinung nach gut beraten, wenn ihr euer Kollegium so schnell wie möglich noch einmal einberuft und eure Auswahl nach der üblichen Methode trefft.«
»Das ist unmöglich.«
»Warum?«
»Das Gesetz über die Änderung des Abstimmungsverfahrens ist heute Morgen dem Volk vorgelegt worden.«
»Von wem?«
»Von Labienus.«
»Ah!« Cicero schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.
»Du machst dir unnötig Sorgen, Konsul. Keine Sekunde glaube ich daran, dass Caesar so töricht sein könnte, selbst anzutreten. Und wenn, dann würde er vernichtend geschlagen. Das römische Volk ist nicht gänzlich verrückt. Es geht um die Wahl zum Oberhaupt der Staatsreligion. Da ist äußerste moralische Festigkeit gefragt. Kannst du dir Caesar als verantwortlichen Mann für die vestalischen Jungfrauen vorstellen? Er muss mit ihnen zusammenleben. Das wäre, als würde man seinen Hühnerstall einem Fuchs anvertrauen!«
Catulus redete und redete, aber an seinen Augen konnte ich sehen, dass in ihm leise Zweifel aufgestiegen waren. Es dauerte nicht lange, und die ersten Gerüchte kamen auf, dass Caesar tatsächlich vorhatte, sich zur Wahl zu stellen. Der Gedanke entsetzte alle vernünftigen Bürger, oder sie rissen obszöne Witze darüber und brachen in lautes Gelächter aus. Trotzdem, die Vorstellung hatte etwas an sich – ich schätze, es war die atemberaubende, schiere Dreistigkeit –, was selbst seinen Feinden unweigerlich Bewunderung abnötigte. »Der
Kerl ist der unglaublichste Spieler, der mir je begegnet ist«, sagte Cicero. »Jedes Mal wenn er verliert, verdoppelt er einfach den Einsatz und macht ein neues Spiel. Jetzt verstehe ich auch, warum er Rullus’ Gesetz und die Anklage gegen Rabirius hat fallenlassen. Er wusste, dass der Pontifex sich nicht wieder erholen würde, hat seine Chancen abgeschätzt und entschieden, dass bei dieser Sache ein viel höherer Gewinn winkt.« Staunend schüttelte er den Kopf und machte sich an die Arbeit, auch Caesars drittes Spiel zu durchkreuzen. Was er auch geschafft hätte, wenn da nicht zwei Faktoren gewesen wären.
Der erste war die unglaubliche Dummheit von Catulus und Isauricus. Wochenlang pendelte Cicero zwischen den beiden hin und her und versuchte ihnen begreiflich zu machen, dass sie nicht beide antreten dürften, weil sie sonst die Stimmen gegen Caesar aufspalten würden. Vergeblich. Sie waren eben dünkelhafte und dünnhäutige alte Männer. Sie wollten weder nachgeben noch losen, sie wollten auch keinen Kompromisskandidaten – also standen am Ende beide zur Wahl.
Der zweite entscheidende Faktor war Geld. Man erzählte sich damals, dass Caesar in den Wahlbezirken so gewaltige Bestechungssummen ausgab, dass die Münzen in Schubkarren transportiert
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