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02 Winter am Ende der Welt

02 Winter am Ende der Welt

Titel: 02 Winter am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Heinold
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Wie heißt es auf Englisch so schön? Jedenfalls haben wir das damals in der Schule gelernt, keine Ahnung, ob das die Leute hier wirklich sagen. It rains cats and dogs . Na, das finde ich jetzt nicht, die Regentropfen haben keinerlei Ähnlichkeit mit Aprils Prozac-Pudel oder der Katze der Nachbarin. Da passt schon eher das deutsche Es schüttet wie aus Eimern . Aber was heißt hier Eimer? Aus Eimern schütten ist gar kein Ausdruck für das, was hier passiert. Es regnet, als ob der Himmel einen Wasserschaden hätte. Einen gigantischen Rohrbruch. Einen Durchbruch im himmlischen Staudamm.
    Ich stehe am Fenster und gucke raus. Eine Böe treibt das Wasser über die Straße. Der Fluss ist braun und reißend. Eine kleine Ente reitet in Höllengeschwindigkeit auf den Wellen in Richtung Inlet. Und plötzlich regne ich auch. In Form von Tränen. Ich denke an unsere Wohnung in Campo de Ourique, ich denke an die Zeit, als Nicole und Tiago klein waren, ich denke an Lissabon und an Sofia und Joana, an Catarina und Mariana, an ... ach, an alle eben.
    In den letzten Jahren hat es mich eigentlich gar nicht mehr so gestört. Jedenfalls dachte ich das. Irgendwie hatte das Ganze einen Rhythmus bekommen. Ich kannte die Anzeichen. Jorge war besser gelaunt und weniger zu Hause. Wenn er zu Hause war, war er nett und zuvorkommend. Er achtete mehr auf sein Aussehen. Er achtet eigentlich immer auf sein Aussehen, aber es war dieses noch etwas mehr. Etwas regelmäßiger zum Friseur. Immer gut rasiert. Ein neues Hemd oder eine neue Hose. Er pfiff unter der Dusche. Er ging zu Arbeitsessen (angeblich) und fuhr zu Tagungen (die nicht existierten).
    Einmal bei einem Essen mit Kollegen von der Uni habe ich eine Frau gefragt, ob ihr Mann auch so oft zu Tagungen fährt. Und die Frau hat gesagt: Ach wissen Sie, Ihr Mann hat ja ein ganz anderes Aufgabenfeld.
    Ja, so kann man es natürlich auch ausdrücken.
    Ich stehe am Fenster und sehe in den Regen. Heute fliegen keine Adler. Nicht eine einzige Möwe in Sicht. Keine Krähen auf der Telefonleitung. Nur Regen, unendlicher, unaufhörlicher, stetiger Regen. Ich höre das Rauschen, es dringt in mich ein, setzt sich in meinem Kopf fest, es lullt mich ein.
    Irgendwann dann nach einiger Zeit, manchmal nach ein paar Wochen, manchmal schon nach wenigen Tagen: der Blumenstrauß. Und das Geständnis. Jedes Mal eine Versöhnung. Jedes Mal die Hoffnung: nun wird alles gut.
    Ich bin dabei, mich hier am Ende der Welt im Regen ganz in Tränen und Erinnerungen aufzulösen. Ich reiße mich zusammen und schicke Anna und Clara eine e-mail: brauche Aufmunterung. Dringend. Bitte. Jasmin.
     
    Ich hätte nie gedacht, dass mir mal jemand am zweiten Weihnachtstag das Märchen von Schneeweißchen und Rosenrot über Skype vorliest. Schon, weil ich bis gestern garnicht wußte, was Skype ist. Aber jetzt hat Clara mich dazu überredet. Sie will mich aufmuntern und sie will mir was vorlesen. Also richte ich mir Skype auf dem Computer ein, mit Kamera für Videogespräch und allem, und Clara lässt mich einen Blick in ihr Appartement in der 33. Straße in Hermosa Beach, LA, Californien werfen und auf die mit Weihnachtslichtern geschmückte Palme auf ihrem Balkon. Allan winkt und wünscht mir Frohe Weihnachten und dann liest Clara mir das Märchen vor.
    Da sind also diese beiden supernetten Mädels, die sich total gut mit ihrer Mutter verstehen und die beiden sind ja sowas von brav, und sie tun nie was Schlechtes. Lieb, lieb, lieb ohne Ende. Arbeitsam. Unverdrossen. Immer nur Gutes im Sinn. Tun keiner Fliege was zu Leide.
    Clara sieht mein ungeduldiges Gesicht und sagt, ich werde dir sagen, warum ich dir das vorlese. Das ist unser neues Projekt. Und ich sage, was? Ich meine WAS ? Ihr wollt aus Schneeweißchen und Rosenrot einen äh, also einen äh, also einen na du weißt schon machen? CLARA . Jeez Louise!
    Nein, nein, sagt Clara. Das nicht. Sie wollen eine Satire draus machen. Und ich soll mir mal vorstellen, wie das Ganze wirkt, wenn Schneeweißchen und Rosenrot und die liebe Mama Hexen wären.
    Ich frage: Schwarze oder weiße Magie?
    Schwarze Magie, sagt Clara, wenn schon, denn schon, und manchmal hat sie echt genug von den Heldinnen, die sie für ihre Kitschromane kreiert. Von den im Herzen reinen jungen Frauen, die sich so unverdrossen durchs Leben schlagen und sich auf keinen Fall von Mr Alpha-Mann helfen lassen wollen, obwohl er doch gerade ihnen so gerne helfen würde und es am Ende ja dann auch immer darf.
    Und deswegen sind

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