0201 - Im Zentrum des Schreckens
nicht. Schon umtanzten die kleinen Flammen meine Füße. Die Zungen bewegten sich, sie leckten gierig nach meinen Schuhen. Ich merkte keine Hitze. Das Feuer war kalt.
Dann berührte ich die Oberfläche! Im ersten Moment schrak ich zusammen, zog wieder die Beine an, und ein Schüttelfrost packte mich. Ich hielt den Atem an, das Herz schlug noch schneller, es pochte dumpf in meiner Brust, und seine Schläge hallten in meinem Kopf wider. Ein Ruck. Ich tauchte bis zu den Schienbeinen ein. In eine Flüssigkeit, die ziemlich dick und träge war und auch eine entsprechende Temperatur hatte. Sie war wirklich nicht kalt, sondern erinnerte mich in ihrer Temperatur an die eines übermäßig stark beheizten Schwimmbades. Der Vergleich mit verdünntem Sirup fiel mir ein. Ich warf einen Blick nach links. Überall dort, wo meine Leidensgenossen mit eingetaucht waren, ringelten Wellen. Sie verliefen jedoch sehr schnell, und der teuflische Galgen drehte sich weiter, um mich in den gewaltigen, uferlosen See zu tauchen. Sah so das Ende aus, das sich der Teufel und Asmodina für mich ausgesucht hatten? Sollte ich vielleicht als Lebender hineingetaucht werden, um als Untoter wieder aufzusteigen?
Diese Gedanken waren gar nicht so weit hergeholt. Meinen Todfeinden war wirklich alles zuzutrauen. Die Angst steigerte sich. Das Knarren des Rades zerrte an meinen Nerven. Es kannte kein Erbarmen, stand nicht still und sorgte dafür, dass ich weiter hinab sank. Der See wollte seine Opfer. Und er bekam sie. Bis über die Brust stand mir bereits die warme Flüssigkeit. Flammen leckten vor meinem Gesicht hoch, glitten über die Haut, und ich hatte das Gefühl, dabei von gierigen Händen berührt und abgetastet zu werden. Ich holte Luft. Ein paar Mal atmete ich tief durch. Wenn ich innerhalb des Sees verschwand, wollte ich die Luft so lange wie nur möglich anhalten. Vielleicht würde ich mich auch befreien und doch so lange schwimmen, bis es nicht mehr ging. Wenn und aber zählte nicht mehr, als die Flüssigkeit mein Kinn erreicht hatte.
Jetzt gab es kein Zurück mehr! Ich tauchte ein. Feuer umtanzte mein Gesicht. Ich konnte auch keine Luft holen, noch ein Ruck, eine Umdrehung des Rads, und der See hatte mich verschlungen…
***
Keine Nachricht von John Sinclair! Suko, Freund und Kollege des Geisterjägers, machte sich große Sorgen. Zudem fühlte er sich wie ein gefangenes Raubtier, das unruhig in seinem Käfig auf und ab rennt. Er konnte wirklich nichts tun, war zur Hilflosigkeit verdammt, und gerade das zerrte an seinen Nerven. Suko gehörte zwar zu den Menschen, die eine unerschütterliche Geduld auszeichnete, aber in Situationen wie diesen, da gab es auch für ihn keine Geduld. Da war das Gefühl der Angst um den Freund vorherrschend. In dieser Wohnung war etwas Unheimliches geschehen. John Sinclair war wirklich wie vom Erdboden verschluckt. Suko ging davon aus, dass sich sein Partner in einer anderen Dimension aufhielt. Es war nur die Frage, in welcher?
Die Reiche und Dimensionen der anderen Welt waren unzählbar. Man konnte John überallhin verschleppt haben. Wenn sich erst einmal ein Spalt öffnete oder durch Schwarze Magie erweitert wurde, dann gab es kein Halten mehr.
Vor dem Schreibtisch im Wohnraum blieb der Chinese stehen. Eine bunte Ansichtskarte lag dort. Jane Collins hatte sie aus Gran Canaria geschickt. Sonne, Meer, ein Strand, fröhliche Menschen. Sie schrieb, dass sie einen herrlichen Urlaub verbrachte und es eigentlich schade fände, dass John nicht mitgefahren war. Suko runzelte die Stirn. Dabei nickte er. John hätte mitfahren sollen, dann wäre ihm sicherlich einiges erspart geblieben. Andererseits befanden sich die Dämonen und höllischen Wesen überall. Es gab keinen Platz auf der Welt, wo man sich vor ihnen verbergen konnte. Wenn sie sich jemanden als Opfer ausgesucht hatten, dann schlugen sie zu, egal, wo der jenige sich versteckt hatte.
Am Schreibtisch blieb Suko stehen und warf einen Blick in den offenen Schrank. Dort stand der Kelch. Harmlos war er anzusehen, doch er barg eine nahezu teuflische Brisanz. Sein Geheimnis musste gelüftet werden. Geschah dies nicht, würde der Weg zu John Sinclair sicherlich verschüttet bleiben. Suko konnte mit dem Kelch des Feuers nicht viel anfangen. Er und John hatten wenig über ihn gesprochen. Der Kelch stand dort im Schrank und war eigentlich als Trophäe gedacht. Dass er aktiv in einen Fall eingreifen würde, daran hatten beide nicht gedacht.
Im Schloss der Wohnungstür
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