0201 - Im Zentrum des Schreckens
Teil verbrannt, denn die Flammen tanzten weiterhin auf der unübersehbaren Oberfläche.
Ferner war ich ehrlich genug, zuzugeben, dass Asmodina und der Teufel gesiegt hatten. Oft genug hatten sie mir versprochen, mich in die Hölle zu schicken. Diesmal war ich da. Das Zentrum des Schreckens hatte sich für mich geöffnet. Da spürte ich eine Berührung. Genau an der linken Seite. Als ich meine Augen drehte und auch den Kopf ein wenig zur Seite wandte, bemerkte ich, dass sich die Gehängte bewegte. Sie brachte ihr Bein in meine Richtung und stieß mich mit dem Fuß an. Unsere Blicke trafen sich. Ein Grinsen spaltete das Gesicht der Frau. Es war ein böses, gemeines Grinsen, mir kam es vor, als würde es der Gehängten Spaß bereiten, mich hier zu sehen. Ein wahrlich höllischer Willkommensgruß. Ich verzichtete darauf, sie anzulächeln, sie sagte auch kein einziges Wort, sondern grinste weiter. Wie festgefroren lag es auf ihrem Gesicht. Mich packte ein Schauder. Zeit verging… Ich fragte mich, ob mich meine Gegner zwischen den Gestalten für immer hängen lassen würden, und wenn ich darüber nachdachte, stieg Angst in mir hoch.
Nein, diese Gedanken musste ich unterdrücken. Damit durfte ich mich erst gar nicht beschäftigen. Dann hörte ich das Stöhnen. Ein grausames Geräusch. Der Gehängte neben mir hatte es ausgestoßen. Sein Gesicht zeigte ja den Riss, und als ich hinschaute, da hatte er sich vergrößert. Das Stöhnen verklang. Stille umgab uns wieder. Ruhig lag die Oberfläche des gewaltigen Sees unter uns. Keine Welle durchbrach die Glätte, nur die tanzenden Flammen auf der Oberfläche fanden immer wieder neue Nahrung. War der See leer, oder lauerten darin Monster und andere Geschöpfe? Rechnen musste ich mit allem, denn die Hölle hielt sicherlich noch schlimme Überraschungen bereit. Und die erste begann.
Über mir knarrte etwas. Dann erzitterte das gewaltige Galgengerüst, ächzte, und plötzlich bewegten sich einige Gestalten. Auch ich! Im ersten Augenblick hielt ich den Atem an. Ich spürte den Ruck unter meinen Achseln, schwankte stärker und glitt in die Tiefe. Das heißt, über mir musste sich eine Rolle bewegen, die ich nicht sah, aber sie brachte mich nach unten. Und über die Rolle musste auch der Strick laufen, an den ich angebunden war. Der See wartete… Es war ein schlimmes Gefühl. Angst hatte ich bisher kaum verspürt, jetzt aber erfasste sie mich. Ruckweise ging es in die Tiefe. Immer weiter, immer ein kleines Stück dem Verderben näher. Und mit mir tauchten etwa die Hälfte der am Galgen hängenden Geschöpfe in die Tiefe, wo der See lauerte und Flammen uns fressen würden.
Die Frau und der Mann neben mir blieben hängen. Ich rutschte jedoch nach unten und sah links und rechts die Beine an mir vorbei gleiten. Die Frau trug keine Schuhe, Lumpen hingen an ihren Beinen, die Füße schauten daraus hervor. Das Fleisch sah schwarz aus und wirkte wie verbrannt. Ich verzog das Gesicht. Ich spürte meinen Magen. Er schien um das Dreifache angewachsen zu sein. Im Innern meines Körpers lag er wie ein dicker Stein. Es war die Angst. Die Angst vor dem Unheimlichen, dem Unbekannten. Ich würde in den dunklen See eintauchen und vielleicht elendig ertrinken. Ich dachte wieder daran, einen Befreiungsversuch zu unternehmen. Nur, was nutzte er mir? Ich würde in den See fallen, der in seinen Ausmaßen unendlich war. So weit konnte ich gar nicht schwimmen, um das Ufer zu erreichen, und wer konnte mir garantieren, dass unter der Oberfläche keine Gefahren lauerten? Es war grausam!
Über mir knarrte das Rad der Winde. Eine hässliche Begleitmusik, die Melodie des Todes, die mich auf meinem Weg in die Tiefe begleitete. Die Hälfte der Strecke lag bereits hinter mir. Noch immer tanzten die Flammen, aber ich spürte keine Wärme an meinen Füßen. Normalerweise hätte ich sie schon merken müssen, aber das Feuer schien kalt zu sein. Mit mir glitten zahlreiche Gestalten in die Tiefe. Zerlumpte Geschöpfe, und aus keinem Mund drang ein Laut der Klage. Alles geschah in einer erschreckenden Stille, nur das Knarren der Winde am großen Querbalken des Galgens war zu hören. Grausame Musik für mich…
War ich der einzig normale Mensch? Lebten oder existierten die anderen als Untote? Am liebsten hätte ich geschrien, aber den Triumph wollte ich meinen Gegnern nicht gönnen. Asmodina und ihr Vater lauerten sicherlich irgendwo im Hintergrund, um mich jammern zu hören. Nein, den Spaß gönnte ich ihnen wirklich
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