0203 - Um Mitternacht am Galgenberg
Aufschrei.
Er war wirklich hart. So hart, dass ihm Colette aus dem Griff gerissen wurde und sich ein paar Mal überrollte, bevor sie weinend liegen blieb.
Auch Marcel war wie betäubt. Er spürte, dass Blut über sein Gesicht lief, ein spitzer Stein hatte ihm die Wange aufgeritzt. Auch seine Nase schmerzte, die Schulter tat ihm weh, doch verstaucht hatte er sich nichts.
Marcel wälzte sich auf den Rücken.
Pal kam! Er war nah, so verflucht nah. Aus seinem hässlichen Maul drang ein schadenfrohes Lachen, und die Würmer bewegten sich weiterhin hinter seiner dünnen, durchsichtigen Gesichtshaut.
Dem Bandit wurde klar, dass er keine Sekunde länger liegen bleiben durfte, dann waren er und Colette verloren. Vielleicht sorgte auch Pals Anblick dafür, dass er sich auf die Beine schwingen konnte, die Schmerzen ignorierte und auf Colette zulief.
Ihr war wie durch ein Wunder nichts geschehen. Sie blutete nicht einmal, sondern sah nur das Blut über Marcels Gesicht rinnen und bekam vor Angst große Augen.
Der Bandit riss das Kind hoch. »Komm!« keuchte er. »Komm endlich, wir müssen weg!«
Colette lief. Sie hatte instinktiv begriffen, dass es jetzt darauf ankam, sich vor dem unheimlichen Verfolger in Sicherheit zu bringen. Sie rannte neben Marcel her und wollte auch nicht getragen werden, worüber Marcel froh war, denn das hätte er kaum geschafft.
Ganz ohne Schaden am Bein war er bei dem Fall doch nicht weggekommen. Der Bandit spürte das Stechen im Fuß. Es war nicht schlimm, aber es würde schlimmer werden, je mehr er den Fuß belastete. Und auf einem konnte er schließlich nicht weiterlaufen.
Marcel biss die Zähne so hart zusammen, dass es knirschte. Unwillkürlich schonte er sein linkes Bein, und der Lauf geriet damit zwangsläufig aus dem Rhythmus.
Das merkte auch Colette. »Was hast du denn?« rief sie voller Verzweiflung.
»Nichts!« presste Marcel zwischen seinen Zähnen hervor. »Lauf weiter, Kind, lauf!«
Er aber blieb stehen, drehte sich um und zog seine Pistole. Es war eine Armee-Waffe. Sie und andere Waffen hatte die Bande bei einem Überfall erbeutet.
Pal war in einen andauernden Trott gefallen. Nicht schnell, nicht langsam, aber wie er lief, und Marcel sich das so anschaute, konnte er davon überzeugt sein, dass Pal diesen Trott über Stunden hinweg durchhalten würde.
Wenn Marcel erschöpft war, lief der andere noch weiter.
Der Bandit hatte Mühe, zu schießen. Er zitterte zu stark, seine Schusshand wollte einfach nicht ruhig bleiben und er musste sie mit der anderen abstützen.
Jetzt ging es besser! Er krümmte den Finger - schoss.
Fahl leuchtete das Mündungsfeuer. Ein peitschender Knall, der zu einem Echo wurde, welches laut über die weiten, unheimlich wirkenden Berghänge hallte und in der Ferne verrollte. Die Kugel hieb in Pals Brust.
Sofort feuerte der Bandit ein zweites Mal. Wieder ein Treffer. Der erste hatte Pal nach hinten geschleudert, der zweite stieß ihn dann einfach um. Das Monstrum fiel zu Boden.
Erledigt?
In Marcels Augen leuchtete es auf. Für eine Sekunde durchströmte ihn die wahnwitzige Hoffnung, bis er das Lachen des anderen hörte, der sich dabei auf die Seite wälzte, seinen Arm anwinkelte und gemächlich in die Höhe kam.
Nein, die Kugeln hatten ihn nicht stoppen können. Ebenso wenig wie der Stich mit dem Messer.
Marcels Gesicht verzerrte sich. Vor Wut hätte er seine Pistole fast weggeworfen, dann besann er sich und machte kehrt. Colette wartete auf ihn.
»Du solltest doch weiterlaufen«, rief der Bandit.
»Nein, Marcel. Ich habe Angst. Da… da kommt ein Auto!«
»Was?«
»Ja.« Colette deutete den Weg hinab. »Ich habe seine Scheinwerfer genau gesehen. Es fährt den Weg hoch und ist ziemlich nah. Ich glaube, das sind die anderen.«
»Verdammt, das glaube ich auch.« Schon war das Motorengeräusch zu hören, und Marcel stellte mit Entsetzen fest, dass er und das Mädchen in einer Falle saßen.
Vor ihnen die Banditen, hinter ihm das Monstrum.
Marcel drehte sich. Pal nahm schon wieder Kurs auf sie. In der Dunkelheit waren die Einschüsse auf seiner Brust nicht zu erkennen, dafür sah Marcel etwas anderes.
Am linken Hang lief zwischen den Felsbrocken ein schmaler Pfad entlang, der auf dem Weg in einer Querrinne endete. Den Pfad musste sich das Schmelzwasser gebahnt haben, er war auch nicht so mit Hindernissen bedeckt, wie die Fläche rechts und links von ihm.
»Kannst du klettern?« fragte Marcel das Mädchen.
»Ja.«
»Dann da hoch. Schnell,
Weitere Kostenlose Bücher