0207 - Der Mann, der nicht sterben konnte
Außerdem – wie hast du mich vorhin genannt? Einen Kretin?«
»Ja, mehr bist du in meinen Augen nicht.«
Da lachte Fjodor. »Ich bin gespannt, ob du gleich auch noch so reden wirst, Vetter!« Er hob den rechten Arm und deutete auf das Messer. »Siehst du die Waffe, Vetter. Sie steckt in meiner Brust. Und ich bin nicht tot!« zischte er. »Ich bin nämlich der Mann, der nicht sterben kann. Hörst du? Man kann mich nicht töten.« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als er schon zugriff. Seine Finger umklammerten den Messergriff, und ruckartig zog er die Waffe aus seiner Brust.
Mit dieser Reaktion hatten weder Lady Sarah noch ihr Begleiter gerechnet. Fjodor blieb vor ihnen stehen, schaute sie an und forderte sie auf, sich die Wunde anzusehen.
»Da«, sagte er. »Kein Blut, und seht, wie sie sich schließt. Das ist doch phänomenal – oder?«
Niemand gab Antwort. Auch Sarah Goldwyn nicht, die wirklich nicht auf den Mund gefallen war. Magisch wurde ihr Blick von der sich schließenden Wunde angezogen. Nur das Hemd zeigte dort einen Schnitt, wo das Messer hindurchgedrungen war.
»Glaubt ihr mir nicht?« flüsterte der Russe. »Seid ihr immer noch ungläubig?« Er schaute von einem zum anderen. Auf seinem Gesicht lag ein Lächeln, die Augen glänzten seltsam, wobei die Pupillen einen leicht silberfarbenen Schein angenommen hatten.
»Warum glaubt ihr mir nicht? Es geht nicht in eure verdammten Schädel rein, aber ich werde es euch beweisen, ihr verfluchten Ignoranten. Ich werde euch meine Macht und meine Magie demonstrieren. Wartet nur ab. Ihr erlebt das Grauen, den nackten, kalten Horror!« Er sprang vor. So heftig und schnell, daß Sir Reginald zurückzuckte und mit dem Rücken gegen die Tür stieß. »Du, mein Vetter, sollst es als erster spüren. Ich werde dir meine Macht beweisen.« Er hielt ihm die Klinge hin. »Da, nimm das Messer und stoße es mir in die Brust.«
»Nein, nein!« flüsterte der Earl und schüttelte heftig den Kopf.
»Das werde ich nicht.«
»Du willst dich nicht überzeugen?«
»Das brauche ich nicht.«
Fjodor lachte. »Was bist du nur für ein widerlicher Ignorant, mein kleiner Vetter.« Dann schnappten seine Finger zu und umfaßten den Griff. Sofort drehte er die Hand, damit die Klingenspitze auf Sir Reginald zeigte.
»Na?« hauchte Fjodor.
Der Earl preßte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Seine Gesichtszüge hatten sich verschoben, deshalb wirkte der Ausdruck wie eine Maske. Der Hut war etwas in die Stirn gerutscht. Mit der linken Hand faßte Fjodor den Melonenrand und kickte den Hut vom Kopf des Earls.
»Prächtig siehst du aus, prächtig…«
»Was erlauben Sie sich…?«
»Lassen Sie ihn!« peitschte Lady Sarahs Stimme.
»Halt die Schnauze, Oma!«
Sarah Goldwyn konnte manchen Spaß vertragen, das hier ging allerdings zu weit. Bevor der Russe reagieren konnte, hatte sie mit dem Stock zugeschlagen.
Es war ein gezielter, wuchtiger Stoß, und er traf dort, wo es einem Mann wehtat.
Fjodor ging auch zurück. Allerdings nicht vor Schmerz, er wollte nur Platz für eine Gegenreaktion finden, und die kam.
Lady Sarah wußte nicht, wie ihr geschah. Plötzlich wurde sie von einem rasenden Wirbel erfaßt, ein paarmal um die eigene Achse gedreht und fortgeschleudert.
Daß sich die Augen des Russen dabei silbrig verfärbt hatten, bekam sie nicht mit. Sie krachte zu Boden und riß dabei einen kleinen Tisch um, von dessen Platte Zinngeschirr fiel, was zum Glück nicht ihren Kopf, sondern nur den Körper traf:
»Reicht das als Demonstration?« zischte Fjodor.
Lady Sarah sagte nichts. Ihre Knochen waren nicht mehr die besten, der Aufprall hatte geschmerzt, und ihr wurde bewußt, daß sie sich völlig in den Händen dieses unheimlichen Menschen befanden, der nicht sterben konnte.
»Jetzt zu dir, Vetter. Ich hatte dir ein Angebot gemacht. Du solltest mir das Messer noch einmal in die Brust stoßen. Warum tust du es nicht? Hier ist die Waffe. Nimm sie. Nimm sie endlich und stoß sie mir in die Brust.«
»Nein!« keuchte der Earl und verdrehte die Augen, wobei er auf die Klinge schielte. »Ich kann es nicht. Ich kann es wirklich nicht. Gehen Sie, lassen Sie mich!«
»Dann werde ich ein Zeichen setzen!« zischte der Russe. »Gib genau acht, Vetter!«
Es war eine blitzschnelle Bewegung die Fjodor ausführte. Die Klinge drehte sich zweimal in der Luft, dann zielte die Spitze auf das Gesicht des Earls.
Der glaubte zuerst, Rankin würde ihm die Augen ausstechen.
Das geschah nicht.
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