021 - Blutorgie in der Leichengrube
kaum hundert Meter von ihr entfernt.
»Bitte bringen Sie mich zu O'Neills Gasthaus. Ich muß dringend …«
Sie stockte. Der Fahrer hatte Vampirzähne und rotfunkelnde Augen. Seine Fratze unterschied sich nur in Nuancen von der Sheldons. Auch er war ein Verfluchter, ein Werkzeug des Bösen.
Cocos Kopf zuckte herum, als ein paar Schreie an ihr Ohr drangen. Sie entdeckte, daß die Ladefläche des Wagens mit kämpfenden Menschen vollgestopft war, mit solchen, die abzuspringen und zu fliehen versuchten, und mit jenen, die sie daran hinderten.
»Steigen Sie ein!« Der Fahrer kicherte. »Ich bin unterwegs zum Friedhof. Es ist noch Platz für Sie, mein Täubchen. Man wartet schon auf Ihren Besuch. Mehr noch, man ist ganz versessen darauf.« Wieder kicherte er.
Sheldon war bedrohlich nahe gekommen. Coco hörte sein Keuchen. Es waren zu viele – gegen diese Übermacht konnte sie nichts ausrichten. Sie wirbelte herum und floh in die Dunkelheit der Straße. Dreißig Meter weiter drehte sie sich um. Sie sah, wie Sheldon mit dem Fahrer sprach, hörte die Schreie der Festgehaltenen, aber sie konnte nicht verstehen, was zwischen Sheldon und dem Fahrer ausgehandelt wurde. Schließlich trat Sheldon zur Seite und hob die Hand, während der Fahrer grüßend seine Rechte an die Schläfe legte und losfuhr.
Die Schreie der Opfer hallten schaurig durch die Nacht, bis die Rücklichter des Wagens nur noch winzige Glutaugen waren.
»Wir sollten ins Gasthaus gehen und unsere Ausrüstung holen«, sagte Marvin.
»Nicht nötig. Ich habe zwei Koffer mit allem, was wir brauchen, im Wagen«, sagte ich und strebte mit großen Schritten dem Haus zu, in das ich mich einquartiert hatte.
Marvin Cohen hielt mich plötzlich am Ärmel fest.
»Sieh mal!« flüsterte er.
Ich wandte den Kopf herum. An einer Haustür stand ein Junge. Wir sahen ihn nur von hinten. Nach Größe und Aussehen konnte er kaum älter als zehn sein. Er malte etwas auf die Tür. Wir traten dicht an ihn heran. Da drehte er sich um und ich erschrak. Ich hatte kein Kind vor mir, sondern eine kleine Bestie. Er fletschte die Zähne. Es waren nicht die Zähne eines Jungen, sondern die eines Raubtieres. Er fiel mich an, ohne daß ich eine Chance hatte, mich zu wehren.
Cohen schlug zu. In Marvins Fäusten vereinte sich die Kraft eines Bären mit der ausgefeilten Technik eines Karatekämpfers. Der Junge heulte auf, ließ von mir ab und hetzte in die Dunkelheit.
Ich umklammerte die Bißwunde mit der Hand und hörte Marvin sagen: »Du solltest die Wunde ausbrennen. Vielleicht arbeitete die kleine Bestie mit Giftzähnen.«
Ich nickte wie betäubt und spürte das warme Blut durch meine Finger sickern. Wir gingen weiter zu Mrs. Garbaes Haus. Ich fragte mich, was in diesem Moment wohl Mr. Kiwibin machte. Die Haustür stand weit offen. Im Innern war es dunkel. Ich tastete nach dem Lichtschalter, betätigte ihn, schaute mich blinzelnd in der kleinen, niedrigen Diele um und rief laut: »Hallo?«
Niemand antwortete. Wir machten kehrt, traten an den Wagen, der immer noch vor dem Haus parkte, und entnahmen ihm zwei Stahlblechkoffer mit unseren Waffen.
»Mir ist das nicht geheuer«, sagte ich und blickte wieder auf das Haus. »Laß uns noch mal hineingehen!«
Cohen nickte.
Wir schleppten die Koffer ins Haus. Ich betrat das Wohnzimmer und blieb abrupt stehen. Marvin prallte gegen mich. Er schaute über meine Schulter. Die alte Mrs. Garbae lag mitten im Zimmer. Ihr grotesk verdrehter Kopf ließ erkennen, daß ihr jemand das Genick gebrochen hatte.
»Kiwibin!« stieß Marvin hervor.
»Vielleicht«, sagte ich und spürte, wie sich in meiner Magengegend ein flaues Gefühl ausbreitete.
Ich wollte es nicht wahrhaben, aber Marvin merkte, daß ich gegen einen plötzlichen Schwächeanfall zu kämpfen hatte. Er packte mich resolut am Arm, stieß mich auf einen Stuhl, schob den einen Ärmel hoch, öffnete einen der Koffer und entnahm ihm ein paar Medikamente, um die Wunde zu versorgen.
Ich biß die Zähne zusammen. Kalter Schweiß brach aus meinen Poren. Marvin kannte sich in der Wundbehandlung aus, aber er war weit entfernt, mit der Behutsamkeit einer Krankenschwester zu operieren. Ich hatte Mühe, mir nicht anmerken zu lassen, wie mir seine Schlächtermethode zusetzte.
»Das dürfte reichen«, meinte er schließlich und betrachtete zufrieden den festgeschnürten, weißen Verband, der meinen Unterarm zierte.
Ich stand auf. Wir ließen die Koffer im Wohnzimmer zurück, streiften durch das Haus
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