0212 - Herr der roten Hölle
Wangen zuckten und die Lippen nur noch einen Strich bildeten.
Er wollte es den anderen zeigen, einmal noch in seinem Leben, denn er fühlte, daß der Tod bereits seine Klauenhände nach ihm ausgestreckt hatte.
Einen letzten Blick warf er auf das Fenster, bevor er sich umdrehte und mit schweren Schritten den Raum durchquerte, um auf die Tür zur Höhle zuzugehen.
Dort schlief und arbeitete er. Da hatte er seine Studien betrieben, und er wußte, daß der Herr der roten Hölle nicht unbesiegbar war, auch wenn er zu einer uralten Magie gehörte, die älter war als das Menschengeschlecht.
Im Raum war es düster. Auch hier brannten nur die Öllampen, die weit nach unten gedreht waren, so daß es mehr Schatten als Lichter gab. Gebeugt schritt der Alte weiter. Sein graues langes Haar fiel wie ein faseriger Vorhang rechts und links des Gesichts herab, so daß davon kaum etwas zu sehen war und sich das Haar in Höhe des Kinns mit dem Beginn des Bartes vereinigte.
Nur die Augen waren zu sehen. In ihnen leuchtete der Wille, es zu schaffen.
Der alte Mann betrat die Höhle. Bevor er allerdings endgültig seinen Fuß über die Schwelle setzte, blieb er stehen, denn irgend etwas störte ihn plötzlich.
In der Höhle war es nicht mehr so wie früher. Eine andere fremde und auch gefährliche Kraft oder Magie lauerte hier. Der Blutregen hatte sie mitgebracht, und als er seinen Blick durch die Höhle schweifen ließ, da sah er an den Wänden, wo die Felle nicht hingen, die dunkle Flüssigkeit aus zahlreichen Spalten und Ritzen treten.
Sie quoll hervor. Dicke Tropfen waren es, und sie liefen in langen Bahnen an dem Fels entlang, wurden von den Fellen aufgesaugt, gestoppt, doch nachrinnendes Blut sorgte dafür, daß die Felle es nicht schafften, so daß die Tröpfen auch von ihnen abfielen, um auf dem Boden große Lachen zu bilden.
Der alte Mann schluckte. Er öffnete den Mund, und innerhalb seines Bartgestrüpps erschien ein regelrechter Krater. »Das Blut der Gerechten«, flüsterte er. »Wie es die alten Bücher schrieben. Es wird fließen, wenn der Dämon seine Rückkehr vorbereitet…«
Sehr wohl kannte er das Blut der Gerechten. Es stammte aus der alten nicht menschlichen Ära, und es hatte die Jahrtausende überlebt. Es war nicht zerstört worden, denn es gehörte zu den Menschen, die ihr Leben geopfert hatten, um den Dämon zu stoppen.
Sie hatten es nicht geschafft, denn der Herr der roten Hölle war stärker gewesen. Zudem war er in der Leichenstadt unantastbar gewesen, und als der große Untergang kam, da verschwand die Leichenstadt nicht, sondern wurde hineingeschleudert in eine andere unbekannte Dimension, wo sie auch in dieser Zeit noch ihre Existenz besaß.
Nur war jetzt ein Riß aufgetreten, den der alte Mann zu kitten versuchte.
Mit schlurfenden Schritten bewegte er sich auf seinen Schreibtisch zu. Dort lagen die Bücher, die er studiert und die ihm Auskunft gegeben hatten. Durch sie und ihr Studium hatte er erfahren, daß der Herr der roten Hölle nicht nur Freunde besaß, nein, er hatte auch starke Feinde.
Da gab es einen Dämon, der aus seiner Haut eine Peitsche hergestellt hatte.
Myxin hieß er, denn dieser wußte genau, daß Nyranas Haut sich besonders dazu eignete. Die alten Bücher wußten zu berichten, daß es die Peitsche noch gab, aber in ihnen stand auch zu lesen, daß der Dämon, aus dessen Haut die Peitsche hergestellt sein sollte, längst eingegangen war in das Schattenreich ohne Wiederkehr.
Da irrten sich die Schriften. Nyrana lebte, und er war zurückgekehrt, um sein schreckliches Werk zu vollenden.
Olaf Sörskold wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß Nyrana bereit war, auch ihn zu vernichten, denn das Blut quoll bereits aus den Wänden, und erste Nebel wallten durch die Felsenhöhle.
Schwer ließ sich der alte Mann auf den Holzstuhl fallen, nahm mit zitternden Händen das Buch mit dem schwarzen Umschlag und schlug es auf. Er mußte dabei vorsichtig zu Werke gehen, wollte er die alte Schrift nicht zerstören.
Es war die Geschichte eines Reiches, das es längst nicht mehr gab. Alte Propheten und Magier hatten sie aufgeschrieben und im tiefen Fels vergraben. Sogar luftdicht, so daß sie die Jahrtausende überdauern konnten. Doch nun verblaßte die Schrift, und der alte Olaf Sörskold hatte Mühe, sie zu entziffern. Zwar wußte er fast auswendig, was in dem Buch stand, doch er wollte sichergehen und keinen Fehler begehen.
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