022 - Schreie aus dem Sarg
seine Lippen.
»Sie schmieden ein Komplott gegen mich. Das alles passt zusammen. Sie wollen
mich vernichten.«
Er rannte wie von Sinnen ins Haus zurück. Als er in dem geräumigen, achtzig
Quadratmeter großen Wohnzimmer stand, fiel die Spannung von ihm ab wie eine
zweite Haut. Er wusste plötzlich nicht mehr, was er eigentlich anfangen sollte.
Er drehte sich ständig im Kreise. Es hatte keinen Sinn, jetzt die guineische
Polizei anzurufen und ihr mitzuteilen, dass seine Dienerschaft ihm weggelaufen
war. Das war etwas, was er allein bewältigen musste.
Benommen stieg er die Treppen zu den Schlafräumen hoch, ohne dass ihm das
so recht bewusst wurde. Er sehnte den Tag herbei und hoffte, dass bald die
Sonne schien.
Er fühlte sich matt, niedergeschlagen und todmüde, und doch war kaum damit
zu rechnen, dass er jetzt, nach all den Vorfällen, die sich förmlich jagten,
noch Ruhe fand.
Um in sein Schlafzimmer zu kommen, musste er an Nanettes Zimmer vorüber.
Auch hier stand die Tür offen. Er warf einen Blick hinein und erstarrte. Mitten
im Raum stand ein schwarzer, klobiger Sarg .
Eine volle Minute verging, ehe er sich entschloss, den Fuß über die
Türschwelle zu setzen.
Das Teufelskarussell dreht sich weiter, schoss es ihm durch den Kopf. Ein
Rädchen griff ins andere, ohne dass ihm klar wurde, was sich hier eigentlich
abspielte.
Der Sarg mitten im Zimmer Nanettes war leer.
Luison versuchte vergebens, Licht anzuknipsen. Er musste sich mit der
Helligkeit zufrieden geben, die von dem breiten Korridor draußen in das
dämmrige Zimmer fiel.
Dem Sarg entströmte ein eigenartig süßlicher Duft.
Aus den Augenwinkeln heraus nahm Luison wahr, dass da noch etwas im Raum
stand – in der linken hinteren Ecke.
Eine reglose Gestalt!
Er wollte sofort zurückweichen, doch da erklang die Stimme in dem dämmrigen
Raum ...
»Bleiben Sie hier, Monsieur! Es wird Sie vielleicht interessieren, was aus
Ihrer Tochter wurde. Sie wollen sie doch wiedersehen. Oder etwa nicht?« Die
Stimme klang ruhig, aber dumpf; deutlich war ihr der guineische Akzent
anzuhören.
Luison starrte wie hypnotisiert auf die finstere Gestalt, die sich noch
immer nicht regte.
Sie überragte ihn etwa um zwei Köpfe und trug ein langes, aus dichten
Grasbüscheln zusammengesetztes, bis an die Füße herabreichendes Gewand. Von
einem eigentlichen Gesicht im wahrsten Sinn des Wortes konnte man nicht
sprechen. Die Gestalt trug auf den Schultern eine abschreckende, grellbemalte
Fratze. Eine Maske, die ihn bedrohte, die so abstoßend war, dass ein Schauer
über seinen Rücken lief.
Es war eine der legendären Ritualmasken, die man eigentlich nur noch in
Museen und bei völkerkundlichen Ausstellungen oder Veranstaltungen zu sehen
bekam.
Sie stammte aus der Frühzeit Guineas. Es war eine jener Masken, die bei
Menschenopfern, bei Mondschein-Orgien in den afrikanischen Dschungeln und bei
Kriegs- und Fruchtbarkeitstänzen einst eine große Rolle gespielt hatten. Vom
finstersten Dschungel aus der Vergangenheit war etwas herübergekommen in diese moderne
Wohnung des 20. Jahrhunderts!
Ein dumpfes Murmeln erfüllte den Raum. Angst und Ratlosigkeit spiegelte
sich im Blick des Franzosen.
»Setzen Sie sich Monsieur«, sagte da die dunkle Stimme. »Und hören Sie gut
zu! Vergessen Sie kein Wort von dem, was Sie jetzt zu hören bekommen!«
●
Zwischen den am Straßenrand stehenden Palmen bewegte sich eine geschmeidige
Gestalt. Am Ende der Kreuzung, die etwa dreihundert Meter zurücklag, stand ein
unbeleuchtetes Auto, von dem aus die lautlose Gestalt ungesehen in die Nähe des
Hauses gelangt war, in dem der reiche Franzose Gerard Luison lebte.
Der Mann, der sich um diese späte Stunde für Luison und sein Anwesen
interessierte, schien einen genauen Plan zu verfolgen.
Ungesehen übersprang er die niedrige Mauer, näherte sich geduckt der von
zahlreichen Zierpalmen und herrlich blühenden Blumensträuchern umwachsenen
südlichen Hauswand, von der aus ein direkter Zugang über die Terrasse möglich
war.
Der Mann trug eine enggeschnittene, knappsitzende, cremefarbene Hose, die
ausgezeichnet zu seinem dunkelblauen Sporthemd passte, an dem er einen
knallroten Krawattenschal trug.
Er bewegte sich mit dem Tempo und der Sicherheit einer Wildkatze. Er schien
sich nur auf ein einziges Ziel zu konzentrieren, achtete aber in Wirklichkeit
mit höchster Intensität und Aufmerksamkeit auf alles in seiner unmittelbaren
Umgebung.
Der Mann war Larry Brent, der beste Mann
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