0221 - Der Todessee
Dolch hatte ich mitgenommen sowie das Kreuz. Aber diese Waffen nutzten nur etwas, falls es sich bei dem Geschöpf um ein Wesen dämonischen Ursprungs handelte. Wenn meine Theorie zutraf und es ein Überbleibsel aus uralter Zeit war, sah ich schwarz.
Suko hielt seine Dämonenpeitsche in der Hand, schlug einmal einen Kreis und ließ die Riemen ausfahren. Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht, während er wieder vorging und sich auf die Ruderbank in der Mitte setzte.
»Behalte du den See im Auge«, sagte er.
»Wo willst du hin?«
»An Land rudern.«
Die Idee war gut, dennoch glaubte ich kaum, daß das Monster es zulassen würde.
Die Stelle, von der aus wir gestartet waren, lag zu weit entfernt.
Wir mußten zusehen, daß wir die Landzunge erreichten, die sich weit in den See schob.
Ich drehte mich und warf einen Blick zurück. Die Dämmerung löste den Tag allmählich ab. Die Luft war feuchter geworden, und in der Nähe des Ufers hatten sich lange Streifen gebildet. Nebel, der über dem Wasser lag und die Sicht verschlechterte.
Den anderen erging es nicht anders, auch sie hatten, wenn überhaupt, den Kampf nur undeutlich beobachten können. Ich jedenfalls sah die Männer nicht mehr, da das Ufer und auch die ersten Streifen Land dahinter in einem milchigen Grau verschwanden.
»Zur Landzunge!« keuchte Suko, dessen Hände bereits die Ruderstangen umklammerten. Er wollte so schnell wie möglich das Trockene erreichen, denn auf dem See waren wir so gut wie hilflos.
Ich beobachtete das Wasser. Dabei wechselte ich die Seiten, starrte auf und in die Schwärze. Glasiger Schaum bildete sich, wenn Suko die beiden Ruderblätter zu hart einschlug.
Dieser See war in der Tat ein verfluchtes Gewässer.
Ich sah nichts.
Nur diese verdammte Ungewißheit blieb, daß das Untier urplötzlich auftauchen könnte und uns mit einem höllischen Angriff überraschte.
Dann sah ich wieder die Leiche. Sie trieb an mir vorbei. Das lange blonde Haar schimmerte in der Schwärze des Wassers. Jedoch nur für einen Moment, bevor hochwirbelnde Wolken aus nassem Torf sie wieder verdeckten.
Weshalb hatte uns das Ungeheuer verschont? Eine Antwort auf die Frage fand ich nicht. Vielleicht sollte es auch nur eine Warnung sein, die zweite Attacke würde härter werden.
Suko pullte. Sein Gesicht zeigte Anspannung und Konzentration.
Er gab wirklich alles und tauchte die beiden Ruderblätter mit einer Gleichmäßigkeit ins Wasser, die einem alten Kahnfahrer zur Ehre gereicht hätte.
Mittlerweile verschwand auch das Tageslicht. Die Dämmerung schob sich heran. Am Himmel sahen wir sehr schwach und durch Wolken verdeckt, den blassen Mond.
Ich drehte den Kopf und schaute zum Ufer zurück. Dabei hatte ich das Gefühl, ebenso weit entfernt zu sein, wie vor einigen Minuten.
Es schien kaum näher zu rücken. Die Dunstschleier lagen wie feine Gardinen in Ufernähe. Die Menschen waren nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatten die Leute aus dem Ort Darkwater Angst bekommen. Und auf uns beide, auf Fremde, brauchten sie keine Rücksicht zu nehmen. Sie hatten uns gewarnt, wir hatten nicht auf sie gehört und waren trotzdem auf den See gefahren.
Die Folgen hatten wir uns selbst zuzuschreiben.
Obwohl ich die Wasserfläche so gut wie möglich im Auge behielt, wurde ich dennoch überrascht. Suko mußte sich auf das Rudern konzentrieren, er hatte nichts sehen können, dafür aber ich.
Als wir es merkten, war es zu spät.
Das Untier hatte sich lautlos dem Boot genähert, war genau darunter getaucht und kam plötzlich hoch.
Blitzschnell ging das. Wir konnten nichts tun, wurden gerammt, und eine urwüchsige Kraft schleuderte das Boot in die Höhe.
Ich sah die beiden Ruderstangen wie Halme links und rechts der Bordwand abstehen, hörte Sukos verzweifelten Warnschrei und wurde selbst um die eigene Achse geschleudert.
Nach links kippte ich.
Da war allerdings nichts, woran ich mich hätte festhalten können.
Nur das verdammte schwarze Wasser.
Und in das fiel ich kopfüber hinein!
***
Als sie Stimmen hörten, reagierte der Alte blitzschnell. Seine Hand umklammerte den Arm des Mädchens in Ellbogenhöhe, und blitzschnell zog er seine Geisel in das nahe Unterholz.
Mit erstaunlicher Kraft drückte er sie dort zu Boden und ging neben Karen in die Knie. Seinen Arm streckte er vor, die Mündung deutete wieder auf das Gesicht des Mädchens.
»Keinen Laut!« hauchte er.
Karen konnte nur nicken. Sie war zu schwach, irgend etwas zu erwidern. Hinter ihr lag eine
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