0225 - Blüten mit dem Todeszeichen
die anderen? Leben wir denn auf einmal nicht mehr in den USA? Gilt die Freiheit nicht mehr für alle, das Gesetz nur noch für die Gangster, die Wahrheit nur noch, wenn sie euch gerade mal in den Kram paßt? Soll ich mich noch im Sterben schämen, daß ich solche Burschen herangebildet habe?«
Er sah mich an. Seine Augen brannten in dem ausgemergelten Gesicht. Ich spürte, wie mein Mund und mein Hals trocken wurden, wie die Zunge pelzig zwischen den Zähnen lag.
Ich machte eine vage Geste; eine Bewegung, die Entschuldigung, Verständnis und Trotz zugleich ausdrücken sollte. Aber Neville nahm sie nicht einmal zur Kenntnis, »Ich kann nicht so verdammt schön reden wie andere«, knurrte er. »Aber du wirst es auch so kapieren. Ich bin mein Leben lang auf einem geraden Weg gegangen. Wie Mister High. Wie Tinbrook. Wie jeder von euch es bisher tat. Man kann mich auf den Elektrischen Stuhl setzen. Man kann mich darauf festschnallen und mir den Sack überstülpen. Vielleicht werde ich schreien vor Angst. Vielleicht wimmere ich um mein bißchen Leben. Sterben ist eine Sache, von der keiner wissen kann, wie er‘s schaffen wird. Also gut, das alles kann man mit einem G-man machen. Aber man kann ihn nicht von seinem geraden Weg herunterholen! Verstehst du das denn nicht? Ein Mann geht seinen Weg, er hat Erfolg oder Mißerfolg, er siegt oder verliert, er kann gebrochen, zerstört und vernichtet werden. Aber wenn er ein Mann ist, wird selbst die Hölle ihn nicht von seinem geraden Weg herunterholen können. Und wenn ihr das noch nicht kapiert habt, dann seid ihr verdammt traurige Burschen. Dann seid ihr noch immer keine G-men, dann wollt ihr‘s höchstens mal werden…«
***
Phil klappte den Aktendeckel der Falschmünzersache zu, als es an die Officetür klopfte.
»Ja, herein!« rief er und blickte neugierig zur Tür.
Isabell Clifford [2] trat über die Schwelle. Sie trug ein raffiniert schlichtes Kleid aus einem mittelgrauen Wollstoff. Phil war nicht gerade ein Modefachmann, aber so viel sah auch er, daß dieses Kleid viel Geld gekostet haben mußte: den Monatslohn eines kleinen Angestellten mindestens.
Er stand auf.
»Hallo, Miß Clifford«, sagte er und zeigte auf einen Stuhl. »Bitte, nehmen Sie Platz.«
Sie kam vollends herein und zog die Tür hinter sich zu. Auf ihren bleistiftdünnen Absätzen trippelte sie graziös bis zu dem Stuhl, blieb aber noch zögernd neben ihm stehen.
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht allzu sehr?«
Phil grinste gewinnend.
»Ehrlich gesagt, Miß Clifford, so schönen Besuch wie Sie haben wir hier sehr selten. Ich möchte sagen, es macht mir nichts aus, wenn Sie ein paar Stunden bleiben.«
»Sie übertreiben recht charmant, Mister Decker. Ich werde in Zukunft allen widersprechen können, die behaupten wollen, unsere G-men wären keine galanten Männer.«
Sie setzte sich.
»Wie wär's mit einer Zigarette und einer Tasse Kaffee?« erkundigte sich Phil.
»Wenn sich das FBI weiter so reizend benimmt, werden Sie mich überhaupt nicht mehr los!« erwiderte Isabell Clifford. »Ich bin dafür.«
»Dann schlage ich vor, daß wir in unsere Kantine gehen. Das ist zwar nicht gerade ein Waldorf-Astoria, aber doch gemütlicher als diese kahlen Bürobuden.«
Sie war einverstanden, und bereits knappe zehn Minuten später hatten sie ihren Kaffee an einem Ecktisch vor sich stehen.
»Wie kamen Sie eigentlich auf den Gedanken, Privatdetektivin zu werden?« fragte Phil, als ihre Zigaretten brannten. Isabell Clifford zuckte die Achseln. »Ach, ich weiß nicht. Das ist eine lange Geschichte. Sicherlich spielt die allgemeine weibliche Neugierde eine Rolle dabei. Ich dachte mir, es wäre einer der wenigen Berufe, wo man für eine private Untugend die berufliche Pflicht als Ausrede gebrauchen kann. Ehrlich gesagt: ich war schon immer schrecklich neugierig.«
Phil griente verständnisvoll.
»Geht mir genauso«, gab er zu. »In manchen völlig verfahrenen Fällen gebe ich nur deshalb nicht auf, weil es mich verrückt machen würde, nicht zu wissen, warum sich dies oder jenes so und nicht anders zugetragen hat. Aber Sie hätten der Neugierde wegen auch was anderes werden können. Etwa Journalistin. Die Presseleute müssen doch auch überall rumschnüffeln.«
»Ach, da war ja auch noch die Geschichte mit meinem Bruder«, murmelte Isabell Clifford düster.
»Wieso? Was kann Ihr Bruder damit zu tun haben? Wahrscheinlich haben Sie ihn doch zeit Ihres Lebens nie gesehen — bis er vor kurzem entlassen
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