0226 - Jagd auf Staatsfeind Nr. 1
habe meinen Leuten immer viel Handlungsfreiheit gelassen. Das gilt auch heute und in diesem Eall. Viel Erfolg, Phil. Und verständigen Sie mich bitte sofort, wenn sich etwas Überraschendes ergibt.«
»Selbstverständlich Chef«, versprach Phil.
Er ging hinaus, wusch sich in einem der Waschräume, setzte sich den Hut auf und fuhr mit dem Fahrstuhl hinab in die Halle. Am Auskunftsschalter ließ er sich das Ausgangsbuch vorlegen und trug sich ein mit der Angabe seines Zieles und der Zeit, in der er vermutlich zurück sein würde.
Es war nachmittags gegen halb drei, als er das Distriktgebäude verließ. Für die Zeit seiner Rückkehr schrieb er: »Gegen 16.00 Uhr«. Diese Eintragung sollte sich als folgenschwer erweisen.
***
Nach dem Mittagessen zog ich mich an. Ich war fest entschlossen, von der Genehmigung des Arztes, ein wenig an Krücken herumhumpeln zu dürfen, ausgiebigen Gebrauch zu machen. Natürlich hätte ich auch im Park des Krankenhauses bleiben können. Aber den sah ich ja jeden Tag. Ich wollte mal wieder unter Menschen kommen.
Also arbeitete ich mich an meinen Krücken mehr schlecht als recht voran. Die Fußgänger auf den Gehsteigen waren rücksichtsvoller, als man es als gesunder Mensch beobachten kann. Man wich mir aus und ich kam ganz gemütlich voran. Ab und zu ging mir ein stechender Schmerz von der Fußspitze bis hinaus ins Hüftgelenk, aber es war nicht so schlimm, dass man es nicht hätte aushalten können.
Ich war vielleicht eine halbe Stunde unterwegs, als mir die Stimme eines Zeitungsboys in mein Ohr dröhnte: »Mittagsausgabe! Die Mittagsausgabe! Noch keine Spur der entführten Kinder! Zum Tode verurteilter G-man als unschuldig erkannt! Flugzeugunglück über Brasilien! Grubeneinsturz in Belgien! Zwischenfälle im Kongo!«
Ich winkte den Burschen heran und ließ mir ein Exemplar geben. Er steckte das Geld in die ausgebeulte Hosentasche und schrie weiter. Ich blieb an einer Ecke stehen, wo der Mast einer Laterne war, lehnte mich halb dagegen und suchte den Artikel, der mich interessierte.
New York
Nach monatelangen Bemühungen ist es dem New Yorker FBI gelungen, die Unschuld des seinerzeit zum Tode verurteilten G-man Neville zu beweisen. In Gegenwart von Richter Douglas und Staatsanwalt Kreiskow legte der wahre Mörder ein volles Geständnis ab. Der Gouverneur wurde bereits verständigt. Nevilles Freilassung, der zurzeit noch in der Todeszelle des Staatszuchthauses sitzt, ist stündlich zu erwarten.
Ich ließ die Zeitung sinken und atmete tief. Neville kam raus! Neville würde in Kürze frei sein! Es war, als ob der Himmel heller geworden wäre. Ich ließ die Zeitung in den Papierkorb fallen, steckte mir eine Zigarette an und trennte mich von dem Laternenmast. Vergnügt humpelte ich weiter. Neville war gerettet. In ein paar Tagen würde er wieder mit mürrischen Gesicht im Distriktgebäude herumlaufen, Akten von einem Zimmer ins andere schleppen, im Archiv Karteikarten sortieren und über die schlechten Zeiten schimpfen. Er würde uns klarmachen, dass es überhaupt keine richtigen G-men mehr gab, dass es die nur in den dreißiger Jahren gegeben hat und dass wir alle völlig verweichlichte Bürokraten geworden wären.
Die Schmerzen in der Hüfte wurden ein bisschen stärker. Ich blieb stehen und sah mir das Schaufenster von Stechert & Hafner an, der ältesten Buchhandlung New Yorks. Und da fiel mit auf einmal wieder die Geschichte von Home sweet home ein. John Howard Payne. Dem Mann, der vor langer Zeit auf Long Island gewohnt hatte.
Natürlich war es nichts weiter als eine verrückte Idee. Aber was? Ich war zum ersten Mal seit vielen Wochen wieder auf den Beinen. Die Sonne schien, der Himmel war wolkenlos, und ich hatte noch eine Menge Zeit.
Ich ging in die Buchhandlung und ließ mir den Straßenatlas vorlegen. Auf den Seiten 64 und 65 fand ich die Karte von Long Island. In der rechten Ecke war der östliche Zipfel der Insel eingetragen. Ich suchte mit dem Nagel des Zeigefingers die Karte ab. Und da stand es! In roter Schrift neben einem roten Viereck: Home sweet home (Home of John Howard Payne).
Ich klappte den Atlas zu. Ich bedankte mich geistesabwesend und verließ die Buchhandlung. Das Haus lag südlich von East Hampton. Dem Nest, in dem John Clifford wohnte, wie mir Phil gesagt hatte. Zufall? Schicksal? Oder ganz einfach direkter Zusammenhang?
Irgendetwas in mir schnappte zu wie eine Falle. Ich tappte an meinen Krücken zum nächsten Taxistand. Der Fahrer riss mir
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