0227 - Der Duplo und sein Schatten
Ich kann es Ihnen sogar nur empfehlen. Was wir bisher von unseren Gegnern erfahren haben, läßt vermuten, daß Sie zumindest in Gefangenschaft geraten werden."
„Damit rechne ich zwar, aber ich werde es zu verhindern versuchen", sagte Rakal Woolver fest.
Atlan erhob sich. „Wir sehen uns wieder, wenn Sie den Sender erhalten."
„Ich möchte mir den Duplo noch einmal ansehen, bevor es losgeht", bat Woolver.
„Er liegt in Tiefnarkose im Behandlungsraum von Lathams Klinik", sagte Atlan. „Viel Freude werden Sie an seinem Anblick nicht haben."
„Trotzdem, Sir", beharrte Woolver.
„Wie Sie wollen, Major. Latham wird Sie einlassen."
Atlan ging hinaus. Woolver blickte auf seine Uhr. Er wußte nicht, ob er Nardini aufsuchen sollte, wenn er zur Klinik ging. Der Arzt hatte noch Dienst in der psychiatrischen Abteilung.
Rakal hoffte, daß er ihn zufällig treffen würde, wenn er sich den Duplo anschaute.
Er wußte nicht, warum er überhaupt zur Klinik gehen wollte. Ein innerer Zwang schien ihn dorthin zu treiben. Er wollte den Duplo noch einmal aus der Nähe betrachten.
Er dachte an die Möglichkeit, daß er in die Gewalt der Maahks geriet, ebenfalls dupliziert und daß an seiner Stelle sein Duplo zurückgeschickt würde.
Was mochte ein Duplo fühlen? fragte sich Woolver. Die Telepathen, die den falschen Tronar Woolver untersucht hatten, behaupteten, daß er wie ein Mensch empfand. Was unterschied ihn dann überhaupt von Tronar?
Rakal versuchte, auf diese Frage eine Antwort zu finden, während er das Verwaltungsgebäude verließ. Er hätte sich auf paranormalem Weg zur Klinik begeben können, doch er zog es vor, langsam durch die frische Luft zu gehen.
Der Duplo besaß nicht die parapsychischen Eigenschaften seines echten Bruders. Daraus mußten wieder Unterschiede in seinem Gefühlsleben resultieren. Auch wenn Rakal den Duplo als Menschen ansah, konnte er ihn nicht mit Tronar vergleichen. Der Duplo besaß lediglich das Aussehen und die Erinnerung seines Zwillingsbruders. Vom gleichen Augenblick an, da der Doppelgänger aus dem Multi-Duplikator gekommen war, hatte er begonnen, wie ein Fremder zu handeln und nicht wie der echte Tronar Woolver.
Rakal Woolver blieb stehen. Sein Wunsch, den Duplo zu sehen, war plötzlich erloschen. Endlich fühlte er gegenüber dem Maahk- Agenten nur Gleichgültigkeit, Die ganze Zeit über hatte er zwischen Haß und Mitgefühl geschwankt.
Rakal Woolver fühlte sich um Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt, nach Imart. Er erinnerte sich daran, was sein Bruder einmal zu ihm gesagt hatte.
„Eines Tages könnte einer von uns sterben, Rakal."
„Das glaube ich nicht", hatte er erwidert. „Wir werden zusammen sterben."
„Wenn dich jemand töten sollte, werde ich deinen Mörder finden", hatte Tronar gesagt.
„Warum sollte mich jemand umbringen?" hatte Rakal gefragt, der weitaus sachlicher dachte als sein Bruder.
„Es könnte geschehen", hatte die Antwort gelautet Es war geschehen. Allerdings war es Tronar, den man getötet hatte.
Rakal Woolver ging weiter. Er erinnerte sich an Nardinis Worte über den verständlichen Wunsch nach Vergeltung. Vielleicht war Nardini trotz seiner extravaganten Kleidung ein Philosoph. Ein Mann, der die Beweggründe seiner Mitmenschen verstehen konnte.
Rakal Woolver spürte ein schwaches Schuldbewußtsein, weil sein Wunsch nach Rache fast geschwunden war.
Vielleicht war das gut so. Wenn er zu den Maahks ging, durfte er sich nicht zu gefühlsbetonten Handlungen verleiten lassen. Er mußte genauso kühl und überlegen vorgehen wie seine Gegner.
Ein Raumgleiter huschte über Woolvers Kopf hinweg und ließ ihn aufschauen. Rakal blieb einen Moment stehen und fragte sich, wieviel Tage ihm noch auf Kahalo blieben.
„Auf jedem Planeten, den wir betreten, lassen wir einen Teil unseres Ichs zurück, wenn wir ihn wieder verlassen", hatte Nardini einmal gesagt. „Es ist so, als verlören wir irgend etwas von unserer persönlichen Eigenart." Rakal schüttelte den Kopf. Er würde nichts zurücklassen. Nicht auf Kahalo.
ENDE
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