0227 - Stellas Rattenkeller
Er hatte seiner Tochter noch immer nicht verziehen, daß sie sich fremden Männern für Geld hingab.
Es wurden auf dem Friedhof immer neue Gräberfelder angelegt und die älteren dafür dem Erdboden gleichgemacht. Nach zwanzig Jahren mußte das so sein, der Platzmangel zwang die Stadt zu solchen Maßnahmen.
Nur die Leute, die selbst ein Grab gekauft hatten, blieben davon verschont.
Es war Nachmittag, noch immer stand die Sonne hoch am Himmel und schickte ihre heißen Strahlen auf den Friedhof. Mancher Mann lockerte da seinen Krawattenknoten oder wischte verstohlen mit dem Taschentuch über die Stirn.
Noch schützten Büsche und Bäume die kleine Trauergemeinde vor allzu großer Hitze, doch wenig später stieß der Weg in ein frei liegendes Gräberfeld.
Jetzt wurde es heiß.
Auch die Trauergäste der vorherigen Beerdigung schwitzten. Sie begegneten den anderen, und es waren die Männer, die wieder einige Blicke riskierten.
Bis einer einen Fluch ausstieß. »Verdammt, das ist ja eine Ratte!«
Nicht nur die Teilnehmer seiner Trauergesellschaft hörten den Ruf, auch die Dirnen.
Zwei von ihnen begannen zu kreischen, denn sie hatten das fette Biest entdeckt, das am Wegrand lauerte und sie aus tückischen Augen anstarrte.
»Bully, tu doch was!«
Mit Bully war ein Zuhälter gemeint. Der stärkste von allen. Er löste sich aus dem Pulk, drängte drei Leute zur Seite und trat zu.
Leider war er nicht schnell genug, die Ratte drehte sich ab, und Bullys Schuh hieb in den Boden.
»Shit!« schrie er, verzog das Gesicht und hüpfte auf einem Bein.
Die Ratte aber verschwand in einem nahen Gebüsch und wurde nicht mehr gesehen.
»Ratten, wo gibt's denn so etwas«, schimpfte jemand. »Das ist ja widerlich.«
Die Leute hatten es plötzlich eilig, den Friedhof zu verlassen, während die Mitglieder der Halbwelt noch einiges vor sich hatten, und das in brüllender Hitze.
Irgendwie hatte die Ratte die Stimmung verändert. Während des weiteren Wegs schauten die Mädchen und Männer immer wieder nach rechts und links, doch andere Tiere ließen sich nicht blicken.
Es wurde heißer. Man sah es den Gesichtern der Trauergäste an, daß jeder froh war, wenn er die Beerdigung geschafft hatte. Die Schminke der leichten Mädchen vermischte sich mit dem Schweiß und zeichnete abstrakte Spuren auf die Haut, so daß die Gesichter wirkten, als wären sie eine verzerrte Landschaft.
Da es tagelang nicht mehr richtig geregnet hatte, war die Erde sehr trocken geworden. Bereits der leichteste Windstoß trieb den Staub zu langen Fahnen hoch und legte ihn auch auf die Kleidung der Trauergäste.
Es sprach niemand. Nur hin und wieder war ein Aufschluchzen zu hören. Die Schritte der Menschen knirschten trocken.
Bully, der Zuhälter, der die Ratte fast erwischt hätte, schwitzte am meisten. Er schaute sich auch des öfteren um, denn sein Erlebnis mit dem widerlichen Nagetier konnte er nicht so leicht vergessen.
Und einmal hatte er Glück. Da sah er die Ratte, aber sie hatte Zuwachs bekommen. Vier weitere Tiere hielten sich an ihrer Seite.
Als Bully sie entdeckte, verschwanden sie hinter einem der frisch aufgeworfenen Grabhügel.
Bully schüttelte sich. Die winzigen Augen in seinem fleischigen Gesicht wurden noch kleiner. Er überlegte, ob er den anderen Bescheid geben sollte, als die kleine Prozession schon vom Weg abkam und sich nach links wandte, wo auch das frisch ausgehobene Grab für die Tote lag.
Sie brauchten nicht weit in das Gräberfeld hineinzugehen, denn das Grab lag fast am Weg.
Wie eine Statue stand der Prediger davor. Er trug noch immer seinen dunklen Umhang, der ihm wahrscheinlich mehr Würde verleihen sollte.
Bully hatte die Nase voll. Er trat dicht an den Prediger heran und zischte: »Mach es nur kurz, du Pellauge, sonst mache ich Brei aus dir.«
Der Prediger hob irritiert den Kopf und schluckte zweimal, wobei sein Adamsapfel in hüpfende Bewegungen geriet. Buddy grinste und ging an ihm vorbei.
Wie durch Zauberhand erschienen die vier Sargträger. Einer warf noch seine Zigarette weg und trat hastig die Kippe mit dem Absatz aus. Die Männer hatten in der Hitze rote Köpfe bekommen.
Man merkte es ihnen an, wie schwer es ihnen fiel, überhaupt die teilnahmsvollen Gesichter zu zeigen. Gute Schauspieler waren sie nicht.
Es ging auch ein wenig hektisch zu, als die Männer den Sarg in die Tiefe gleiten ließen.
Dann stand er.
Die Knaben zogen die Seile zurück, verneigten sich kurz und verließen fast fluchtartig die
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