0228 - Der Leichenpfad
mich anstarrte.
Er lebte!
Seine Lippen bewegten sich, die Augen rollten, das Weiße war zu sehen, und das Bild stieß mich ab.
Ich schoß.
Der peitschende Klang der Beretta schwang durch die heiße Luft.
Die Silberkugel hieb genau in das Zentrum des lebenden Kopfs und zerstörte ihn.
Eine seltsame grüngraue Flüssigkeit lief aus dem Kopf und blieb als stinkende Lache liegen.
Jetzt war der Schädel endgültig vernichtet.
Aber da gab es noch die Leiche.
Sie lebte ebenfalls. Ihr Kopf schaute aus dem Teppich, auch hier bewegten sich Mund und Augen. Ich zielte genau und schloß für einen Moment die Augen.
Dabei drückte ich ab.
Irgend etwas hörte ich noch splittern, wandte mich ab und holte erst einmal tief Luft.
Will ging an mir vorbei. Er schaute nach. Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. »Erledigt, John!«
»Bitte, schließ den Deckel!« sagte ich rauh.
»Ja, natürlich.«
Am dumpfen Geräusch des fallenden Deckels war zu hören, daß der Kommissar den Kofferraum geschlossen hatte. Ich wollte das Bild nicht mehr sehen steckte die Waffe weg und wischte mit einem Taschentuch den Schweiß aus meinem Gesicht.
»Können wir weiterfahren?« fragte Will. Seine Stimme klang ebenfalls belegt, auch ihn hatte der Anblick geschockt.
»Ja«, erwiderte ich, wobei ich einen Blick auf meine Uhr warf. Es war schon früher Abend, der Nachmittag lag in seinen letzten Zügen, und die Sonne hatte auch nicht mehr die Kraft wie am Mittag. Wir mußten es hinter uns bringen und die jetzt endgültig zerstörten Leichenteile begraben.
»Ich glaube, daß die Weiße Frau am gefährlichsten ist«, sagte Will Mallmann, als er startete.
»Ja, das kann hinkommen.«
»Wieso hast du sie nicht erwischen können? Sie raste auf dein Kreuz zu.«
»Im letzten Moment muß sie wohl die Gefahr bemerkt haben«, antwortete ich, »und drehte ab.«
Etwas mühsam fuhr der Manta an. Schon nach wenigen Metern wallten wieder Staubwolken auf, und Will lenkte den Wagen in die nächste Kurve.
Die Hälfte der Strecke hatten wir hinter uns. Die Mauer des Friedhofs war nun deutlicher zu sehen. Sie bestand aus dunkelgrauen Steinen und schien den gesamten Friedhof einzufrieden. Wenigstens glaubte ich das. Die hoch wachsenden alten Bäume warfen gewaltige Schatten. Ich konnte mir vorstellen, daß es unter ihnen kühler war.
Noch immer hatte ich das Bild vor meinem geistigen Auge, das mir bei der Öffnung des Kofferraums präsentiert worden war. Ein lebender Kopf in einem Karton. Wahrscheinlich war er so hoch gesprungen, daß er an die Innenseite des Deckels gestoßen war.
Noch zwei Kurven, und wir hatten den Leichenpfad hinter uns gelassen. Dieser Weg hatte es wirklich in sich, da war von den Menschen nichts übertrieben worden.
»Wir sind da«, sagte Will, stellte den Motor ab und löste den Sicherheitsgurt. Er hatte den Manta gut geparkt. Direkt in der Nähe des Friedhofstores. Wir brauchten keine langen Wege zu gehen.
»Okay«, sagte ich und löste meinen Gurt ebenfalls. »Bringen wir es hinter uns.«
Gemeinsam, aber an zwei verschiedenen Seiten, verließen wir den Wagen. Will holte zuerst den Spaten und danach die Schaufel aus dem engen Fond.
Zu helfen brauchte ich dem Kommissar dabei nicht, so hatte ich Zeit, mir die Mauer anzuschauen. Daß sie alt war, konnte man sehen. Der Zahn der Zeit war nicht spurlos an dem Gestein vorübergegangen. Es gab Einkerbungen, Risse, und an einigen Stellen waren ganze Brocken herausgebrochen worden.
Natürlich hatte auch das Moos seinen Weg in die Ritzen und Spalten gefunden. Es schimmerte dort in einem satten Grün.
Ansonsten wirkte das Gestein brüchig und trocken.
»Ich bin soweit«, rief Will Mallmann hinter mir. Er zwang mich zum Umdrehen. Die Haube des Kofferraums stand schon offen.
Was nun folgte, war eine mehr als traurige und makabre Pflicht, auf die ich auch gern verzichtet hätte.
Zweimal wollten wir nicht gehen. Will nahm den Karton, ich den alten Teppich.
Mühevoll wuchtete ich ihn über meine Schulter, und der aus dem Teppich dringende Verwesungsgeruch drehte mir fast den Magen um. Ich atmete nur durch die Nase und schluckte immer wieder, anders war der Ekel nicht zu verdrängen.
Wir sahen auch ein Tor. Mehr ein schiefes Eisengitter. Mit dem Fuß kickte Will es auf.
Dann standen wir auf dem Friedhof. Ich kam nicht dazu, mir einen ersten Eindruck zu verschaffen, da Will zielstrebig voranschritt und nach einem Platz Ausschau hielt, der für unser Vorhaben am geeignetsten war.
Er
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