023 - Das Kastell der Toten
zumindest nicht durch den Hof verlassen konnte.
Probeweise machte er ein paar Schritte auf den Torbogen zu... und wich zurück, als ihm sofort drei, vier der Tiere in den Weg sprangen.
Hart presste er die Zähne aufeinander, drehte ab und wandte sich dem Turm zu.
Die Katzen zogen sich zurück. Nur noch die grünen und gelben Augen waren hier und da zu sehen. Dave fühlte sich belauert, glaubte förmlich, die schillernden Blicke zu spüren, aber er zwang sich dazu, nicht noch einmal den Kopf zu wenden.
Zum zweiten Mal öffnete er die Pforte des Turms, zum zweiten Mal kletterte er die enge Wendeltreppe hinauf. Auf halber Höhe huschte eine rostfarbene Siamkatze an ihm vorbei, und als er oben an die Tür klopfte, hörte er im Zimmer gedämpftes Fauchen.
»Komm herein, mein Sohn«, krächzte Benedetta del Madre-Castillos Stimme im nächsten Augenblick.
Dave fiel ein, dass sie ihn auch beim ersten Mal so begrüßt hatte. Wusste sie, dass er kam? Verfügte sie über hellseherische Fähigkeiten? Oder hatte sie ihn lediglich über den Schlosshof gehen sehen?
Er dachte nicht weiter darüber nach, sondern betrat das Zimmer.
Benedetta del Madre-Castillo saß in ihrem Lehnstuhl, in das gleiche bodenlange Brokatgewand gehüllt wie beim ersten Mal, mit dem gleichen silberbeschlagenen Stock in der knotigen Rechten. Zu ihren Füßen spielten drei kleine weiße Katzen, und sie streichelte mechanisch mit der Linken das Fell der Tiere.
»Komm näher, mein Sohn«, krächzte sie mit ihrer dünnen, hohen Stimme. »Willst du wieder einmal meine schönen Lieblinge besuchen? Das ist schön! Setz dich, mein Sohn. Setz dich hierher.«
Dave kauerte sich auf den Rand des Hockers. Die Katzen beobachteten ihn, eine von ihnen rieb sich an seinem Bein. Fast hätte er die Hand ausgestreckt, um sie ebenfalls zu streicheln — aber in der gleichen Sekunde lief in seinem Hirn wie in einem Film eine Kette von blutigen, grauenvollen Bildern ab.
»Sie sind brav heute, meine Lieblinge«, murmelte die Alte. »Sehr brav!« Und mit einem raschen, funkelnden Blick: »Aber du magst sie nicht, nicht wahr? Ich sehe dir an, dass du sie nicht magst, mein Sohn.«
Dave schluckte, suchte die richtigen Worte.
»Ich weiß es nicht«, murmelte er dann schließlich. »Manchmal sind sie mir unheimlich. Deine Lieblinge können menschliche Gestalt annehmen, nicht wahr?«
Die Alte antwortete nicht sofort. Dave bebte innerlich. Er wusste, dass er sich mit seinen Worten preisgegeben hatte. Wenn die Bewohner von Montsalve ihr Geheimnis hüten wollten, wenn sie ihn gut genug kannten, um zu wissen, dass er sich nicht wie Marcello in einen Sklaven verwandeln ließ...
Aber Benedetta nickte nur und verzog den zahnlosen Mund zu einem Lächeln.
»Du bist schlau, mein Sohn«, krächzte sie. »Sehr schlau! Du hast es schnell herausgefunden. Aber du wirst bei uns bleiben, nicht wahr? Du liebst sie doch, oder? Du liebst meine süße Tessa ...«
»Ja«, sagte er rau. »Ja, ich liebe sie.«
»Das ist gut, mein Sohn. Das ist sehr gut.« Ein lautloses Kichern schüttelte den dürren Körper, und die schwarzen Knopfaugen blinzelten ihn an. »Es täte mir Leid um dich, mein Sohn. Genauso leid wie um diesen — diesen anderen, der dir glich.«
»Jim?«
»Ja, Jim.« Sinnend ging der Blick der Alten ins Leere, ihre knochigen Finger streichelten die weißen Katzen. »Jim«, wiederholte sie. »Er sah aus wie du, mein Sohn. Ganz genau wie du. Aber er war jung. Jung und leichtsinnig und unbeständig. Er wollte Francesca verlassen. Meine süße, schöne Francesca! Aber es ist ihm schlecht bekommen!« Die schwarzen Knopfaugen bekamen einen bösen Zug. »Er ist tot. Verstehst du? Tot! Tot...«
»So wie Marcello?«
Benedettas Augen funkelten wütend. »Marcello! Dieser Heuchler, dieser Betrüger! Nur aus Angst ist er bei uns geblieben, nur aus Angst war er Annas Geliebter. Immer hat er auf eine Gelegenheit gewartet, davonzulaufen. Aber sie haben ihn erwischt! Meine Lieblinge haben ihn erwischt und ...«
»Sind es noch mehr?« fiel ihr Dave ins Wort. »Andere als Tessa, Francesca, Anna und Philippa?«
Die Alte kicherte. »Aber ja, mein Sohn! Natürlich sind es mehr, viel mehr. Sie sind schön, meine Lieblinge. Alle sind sie schön und frei und glücklich. Nur manchmal, da treibt es sie umher. Da gehen sie auf die Suche, da rufen sie, und wenn ein Mann ihren Ruf hört, nehmen sie menschliche Gestalt an, um zu lieben. Aber sie werden nicht glücklicher. Die Männer sind schlecht, mein
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