023 - Der Flug der Phaeton
Essensvorräte können auch bei knappster Zuteilung …« – Müller zog einen zerkratzten PDA aus einer seiner ausgebeulten Taschen und betrachtete die Anzeigen – »… nur noch vier Monate und drei Tage ausreichen.«
»Haben Sie denn keine Raumschiffe?« Chandler zog an seiner Pfeife und stieß einen Rauchring aus.
»Äh, leider nein.« Missbilligend verfolgte Kruger den Rauchring, der sich größer werdend im Raum verlor. »Wegen der Tarnung konnten wir keinen Raumhafen anlegen. Sodor von Venus-Alpha hat unter strengster Geheimhaltung alles Nötige über Land herbeigeschafft, aber der meldet sich nicht mehr. Die PHAETON kann auch nicht wieder flottgemacht werden. Ohne magnetische Prallfelder von Bodenstationen kann sie nicht von der Venus starten.
Meine Leute werden sie nach Bergung aller Passagiere zum Kraterrand schleppen und mit Venuserde bedecken, damit die Aliens sie und damit uns nicht entdecken. Ich hoffe inständig, dass Ihre Landung von denen nicht bemerkt wurde. Auf der Venus gibt es keine anderen funktionsfähigen Stationen mehr, die uns helfen könnten. Ich weiß auch keinen Rat. Haben Sie Vorschläge?«
Um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen räusperte sich Müller, was sich anhörte, als ob eine Raspel über einen Blechnapf führe. Aller Augen richteten sich auf ihn.
»Nun, einen letzten Ausweg gäb’s schon. Unser Star Gate …«
Kruger sprang erregt auf und fiel seinem Hauptfeldwebel ins Wort: »Müller, ich verbiete Ihnen weiterzureden! Das Projekt ist geheim, streng geheim. Das könnte uns allen den Kopf kosten.«
»Jetzt langt’s!« Müllers Stimme war auf einmal hart und laut. »Unser Hauptquartier auf der Erde ist atomisiert, Aliens zerstören systematisch die Erde und Sie reden von geheim. Unser Konzern existiert nicht mehr. Wir sind die einzigen Flibos, die es noch in Freiheit gibt. Niemand kann uns zur Rechenschaft ziehen, aber wir werden vielleicht überleben. Es ist unser einziger Ausweg von der Venus und vom sicheren Tod.«
»Na ja, Sie haben ja recht, Müller, aber die Vorschriften …«
Wütend unterbrach Müller Kruger, den diese unerwartete Subordination seines längsten Vertrauten völlig aus dem Konzept brachte: »Soll ich Ihnen mal detailliert erklären, was sie mit den Vorschriften machen können? Mit allen 1247 Seiten des ersten Bandes? Zeigen Sie den Herrschaften endlich unser Geheimprojekt! Wir sind auf uns allein gestellt. Wir müssen jetzt auch allein handeln.«
»Aber Uropa hätte niemals …«
»Ihr Uropa hätte die Schlacht um Berlin überlebt und Tausenden von Unschuldigen das Leben gerettet, wenn er ausnahmsweise einmal seine Vorschriften ignoriert hätte. Er hätte nur ein einziges Mal über seinen Schatten springen und seine Befehle ignorieren müssen.«
»Was erlauben Sie sich, Müller, ich lasse Sie füsilieren, vierteilen und einsperren! Ich … das ist ja … ist es ja … ich meine, äh …«
»Hörn’s auf, historische bayerische Politiker zu imitieren! Man hat Sie für diesen Posten ausgesucht, weil Sie nicht nur wie ihr Uropa Befehle ausführen können. Sie können es besser! Sie sollen Entscheidungen treffen, und das tun wir jetzt! Zeigen Sie ihnen das Star Gate, oder soll ich es tun?«
»Schon gut, schon gut, Müller.« Kruger war von diesem ungewohnten Ausbruch seines Stellvertreters erschüttert. »Besser als mein Uropa? Entscheidungen? Hm, ja! Jawoll, ich werde Sie führen, folgen Sie mir!« Ohne auf eine Erwiderung zu warten, war Kruger aufgesprungen und zum Schott geeilt.
Die Besatzung der PHAETON beeilte sich, ihm zu folgen.
Müller leerte mit einem Zug seinen Maßkrug, wischte sich den Schaum vom Mund und murmelte: »Na endlich, das ist mein alter Leutnant Kruger, wie ich ihn von der Schlacht um Irkutsk kenne. Also auf geht’s, Buam!«
Kruger führte sie durch kilometerlange Gänge immer tiefer in den Berg hinein. Chan war von der Größe der Anlage überrascht. Nur spärliche Beleuchtung erhellte die grob aus dem Fels gehauenen Tunnel. Nach langem Marsch erreichten sie einen großen Lastenaufzug. Kruger verdeckte mit seinem Körper die Armaturen und tippte einen langen Code ein. Ängstlich achtete er darauf, dass niemand die Zahlenfolge erkennen konnte. Müller verdrehte die Augen. Kruger konnte einfach nicht über seinen Schatten springen.
Der Aufzug fuhr mit ihnen viele Etagen nach unten. Chan hatte längst aufgehört, die Sekunden zu zählen, um sich einen ungefähren Eindruck von der Tiefe zu machen. Sie waren
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