023 - Der Satan schickt die Höllenbrut
Zigeunerin zuckten. Ihre Hände kamen tastend in die Höhe. Sie
schien zu bemerken, daß da ein Mensch in der rötlichen Düsternis vor ihr stand,
doch Larry wich einen Schritt zurück, ehe die faltigen, bräunlichen Finger sein
Gesicht berühren konnten.
Eine leise,
helle Stimme lachte. Es war Elvira. »Sie brauchen nicht zu erschrecken, Mister
Ferguson. Das ist meine Freundin Esmeralda. Sie ist blind, da sie ohne Pupillen
geboren wurde. Esmeralda gehört mit zum Kabinett. Sie ist eine recht
ungewöhnliche Frau. Das was die fehlenden Augen ihr versagen, schenkt ihr ein
Sinn, der mehr sieht als alle Augen dieser Erde«, fügte sie geheimnisvoll
hinzu.
Es dauerte
einige Sekunden, ehe sich Larry Brent mit dem Blick dieser pupillenlosen Augen
abgefunden hatte. Er blickte an der Zigeunerin vorbei, hinein in eine Art
Kammer, die mit einer Bettstatt, einem einfachen Tisch und zwei Stühlen
eingerichtet war. An der Wand hingen einige Regale, in denen ein paar ärmliche
Utensilien lagen und standen. Auf dem Tisch lagen weiße Karten, in die in
Blindenschrift Symbole eingestanzt waren. Offenbar hatte sich Esmeralda mit
diesen Karten beschäftigt, bevor sie durch ein Geräusch oder durch die Stimme
des Agenten auf den Besucher aufmerksam geworden war.
»Wir leben in
einer Art Symbiose zusammen«, fuhr Elvira vom Diwan her fort. »Esmeralda hat
zwar einen eigenen Wagen, aber meistens hält sie sich bei mir auf. Sie hilft
mir. Ich sehe für sie, und sie bewegt sich für mich. Ich habe ihr die Kammer
nach ihren eigenen Wünschen so spartanisch einrichten lassen. Sie mögen sich
vielleicht fragen, weshalb Elvira in Prunk und Seide lebt – und Esmeralda
zwischen ein paar ärmlichen Holzbrettern. Es ist ihre Welt, sie will so leben.«
Sie wollte
noch etwas hinzufügen, doch Su Hang unterbrach sie. »Er ist weg.« Die hübsche
Chinesin ließ den Vorhang zurückfallen. »Ich habe ihn eben noch einmal kurz
neben meinem Wagen gesehen, dann verschwand er.«
»Du hast
nicht erkannt, wer es war?« wollte Elvira wissen.
»Das war
leider unmöglich. Es ist zu finster draußen«, antwortete die junge
Privatdetektivin.
»Er benahm
sich auffällig. Einmal machte er sich sogar an deinem Schloß zu schaffen, Su.
Sei auf der
Hut! Ich habe das Gefühl, du schwebst in Gefahr.«
»Ja, sie
schwebt in Gefahr, in großer Gefahr«, kam es in diesem Augenblick über die
dünnen, ausgetrockneten Lippen der Zigeunerin. Mit tastenden Schritten löste
sie sich von dem Vorhang. Larry trat zur Seite und ließ sie an sich vorüber. »Sie
muß sehr auf sich aufpassen. Ich sehe einen dunklen Schatten über ihrem Haupt.
Ein Schatten, der die Form eines Geiers hat«, orakelte die Alte, und ihr
faltiges Gesicht sah aus wie zerknittertes Pergament. Sie trug ein schwarzes
Samtkleid mit vielen bunten Stickereien, das ihr bis hinab an ihre dürren
Knöchel reichte. Esmeralda schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Sie war
das genaue Gegenteil von Elvira, und sie war uralt. Larry schätzte sie auf fast
neunzig Jahre. Dennoch bewegte sie sich noch mit einer erstaunlichen
Elastizität. »Achten Sie auf sich, mein Kind«, fuhr Esmeralda zu Su Hang
gewandt fort. »Der Geier ist gefährlich, er stürzt sich auf Sie herab!«
Su Hang
preßte die Lippen zusammen. Sie schien den Worten der Alten eine erstaunlich
große Bedeutung beizumessen.
Larry ging
auf sie zu. Er wollte etwas zu der jungen Chinesin sagen, doch die Zigeunerin
wandte ihm ihr zerknittertes Gesicht zu, und wieder verspürte Larry das
seltsame Gefühl auf seinem Rücken, als die pupillenlosen Augen seinem Blick
begegneten.
»Ich fühle,
daß ein Fremder unter uns weilt«, bemerkte sie mit ihrer krächzenden Stimme.
Larry rührte
sich nicht vom Fleck. Er sah die Zigeunerin auf sich zukommen. Die knöchernen,
faltigen Hände fuhren durch die Luft und berührten sein Gesicht. »Er hat eine
interessante Physiognomie, stark ausgeprägt. Es ist ein junger Mensch, ein
guter Mensch. Er ist noch nicht sehr lange hier in dieser Stadt, er hat eine
sehr lange Reise hinter sich.«
Larry fühlte,
wie es ihn plötzlich siedendheiß überlief. Die Finger der Alten fuhren über
sein Gesicht und tasteten es genau ab. Als wolle sich Esmeralda ein Bild von
ihm machen. Larry sah das plötzliche Erschrecken auf ihrem Gesicht. Sie
schluckte, und ihre Stimme veränderte den Klang. »Es ist keine
Vergnügungsreise, die Sie hierherführt, Fremder.« Die weißen Augäpfel schienen
ihn zu durchbohren. Larry hatte das
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