0231 - Meer der weißen Särge
Augen.
»Wie heißen Sie denn?« fragte ich.
Schwach kam die Antwort. »Franca Patelli.«
Auch wir sagten unsere Namen, obwohl ich nicht sicher war, daß sie sie auch behalten würde. Ihre Lippen zuckten, als sie mit dem Sprechen begann.
»Schrecklich!« flüsterte sie, »es war schrecklich. Ich… ich habe eine Hölle hinter mir.«
»Lassen Sie sich Zeit mit Ihrem Bericht.«
Franca schüttelte den Kopf. »Nein, nein, es ist schlimm. Marco haben sie gepackt.«
»Wer ist Marco?«
»Mein Freund.«
»Und wer hat ihn gepackt?« schaltete sich der Commissario ein.
»Die Fledermäuse.«
Ich preßte hart die Lippen zusammen, und meine Wangenmuskeln zuckten. Also hatten sie doch ein Opfer gefunden. Ein menschliches Opfer und nicht nur die Strige, wie wir es gesehen hatten. Unwillkürlich drehte ich den Kopf und schaute in die Höhe.
Ja, da oben schwebten sie. Lautlos zogen sie ihre Kreise und hatten die gewaltigen Flügel ausgebreitet. Sie lauerten in der Luft, und sie würden sich sofort nach unten stürzen, wenn sie sich ihrer Beute sicher waren.
Ich nickte der Kleinen beruhigend zu. »Am besten ist es, wenn Sie ganz von vorn beginnen, Franca, einverstanden?«
Sie nickte.
Anschließend erfuhren wir ihre Geschichte. Sie berichtete von der Jagd durch die Gassen und Kanäle dieses Viertels und davon, daß sie und ihr Freund eine furchtbare Angst ausgestanden hatten.
Mit einer Gondel wollten sie fliehen.
»Marco hat es nicht geschafft!« sagte sie zum Schluß, wobei Tränen aus ihren Augen quollen.
»Ist er tot?« wollte ich wissen.
»Ja oder nein. Ich weiß es nicht genau, denn ich konnte kaum hinschauen.«
Wir schwiegen, denn die Wahrheit wollten wir ihr nicht sagen.
Wer von den Fledermäusen angegriffen wurde und sich nicht mit den entsprechenden Waffen verteidigen konnte, der hatte gegen diese Bestien keine Chance. Das wußten wir aus eigener Erfahrung.
»Das alles muß aber einen Grund gehabt haben«, meldete sich Suko von der Bank am Heck des Bootes. »Weshalb hat man Sie verfolgt, Franca?«
»Es ging um das Grab.«
Aha, jetzt wurde es interessant. Ich hakte sofort nach und fragte:
»Welches Grab?«
»Das in dem alten Dogenpalast. Marco wollte es so. Er hatte gehört, daß dort ein Schatz zu finden war…«
»Und? Haben Sie einen Schatz gefunden?«
Franca Patelli schüttelte den Kopf. »Nein, wir fanden keinen Schatz. Aber wir drangen in eine Grabkammer ein, in der sich die Vampire befanden.«
»Haben Sie noch mehr gesehen?«
»Vielleicht. Es ging alles zu schnell. Kaum hatten wir das große Grab betreten, als sich die Vampire, von denen wir glaubten, daß sie schlafen würden, in die Höhe…« Sie konnte nicht mehr weitersprechen. Die Erinnerung an das Schreckliche ließ ihre Stimme versiegen.
Wir gaben Franca Zeit und warteten so lange, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Erst dann sprach ich weiter. »Können Sie den Weg zur Grabkammer zurückfinden?«
»Ja – wahrscheinlich.«
»Es ist nicht weit von hier?«
»Nein, ich bin ja nur durch die Gassen und Kanäle gehetzt. Das alles kommt mir nur so schrecklich weit vor, doch so ist es nicht.«
»Gut, Franca, dann werden wir uns das Grab einmal genauer anschauen.«
Sie erschrak. »Das ist doch gefährlich!« flüsterte sie. »Man wird Sie auch umbringen und…«
Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich kaum. Außerdem können wir uns unserer Haut schon wehren. Machen Sie sich wegen uns mal keine Gedanken.«
Franca hob die Schultern. »Und was ist mit Marco?« hauchte sie schließlich.
Das war in der Tat ein Problem. Ich schaute Suko an, der aufgestanden war, näher kam und mit seiner um die Schultern hängenden Decke fast auch schon einem Vampir glich. Er machte ein besorgtes Gesicht. Wahrscheinlich dachte er das gleiche wie ich.
Nur Commissario Tolini verstand nicht so recht.
»Wir müssen ihn suchen, vielleicht können wir ihn noch retten!«
Als Franca die Worte vernahm, sprang sie auf. »Ja, das müssen wir. Wenn es noch eine Möglichkeit gibt…«
»Wir machen das schon«, sagte ich ihr und schielte zum Himmel, wo die Vampire weiterhin ihre Kreise zogen. »Können Sie uns denn den Weg zeigen, den Sie gelaufen sind?«
Franca deutete dorthin, wo sich die Brücke befand, die sie in ihrem panikartigen Lauf verpaßt hatte. »Wenn wir dorthin fahren, kann ich es besser erklären.«
»Warum auch nicht?« rief Commissario Tolini. »Also packen wir es an, meine Herren.« Er wollte den Motor anlassen, doch Sukos »Halt« ließ
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