0234 - Der Boß kennt kein Erbarmen
gelegenen Daches sein Gleichgewicht verliert. Außerdem finde ich es bemerkenswert, dass innerhalb ganz kurzer Zeit zwei kleine Bandenchefs das Zeitliche segnen. Könnte doch sein, dass es da einen Zusammenhang gibt.«
»Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen«, brummte Anthony. »Leider können wir uns nicht darum kümmern. Wir haben nicht die leisesten Anhaltspunkte, um gegen den Kerl vorgehen zu können der höchstwahrscheinlich dahinter steckt.«
»Calhoone«, sagte ich. Der Name dieses Gangsterchefs war in jenen Monaten in aller Munde. Wenigstens bei den Leuten, die täglich mit der Unterwelt zu tun hatten.
»Ja, ganz recht«, nickte Anthony bitter. »Thomas Brian Calhoone. Der Kerl, der sich zum König der New Yorker Unterwelt machen möchte.«
Das war ein offenes Geheimnis. Nur leider genügte es nicht, um gegen Calhoone vorgehen zu können. Um einen Mann verhaften zu können, muss man mehr haben als ein paar fragwürdige Gerüchte.
Ich setzte Anthony ab, nachdem er mir auf einem Zettel die Gegend beschrieben hatte, wo der Gangster Raggers gelebt hatte. Die Hausnummer wusste Anthony nicht auswendig, aber die würde ich schon finden.
Nachdem der Leutnant meinen Wagen verlassen hatte, nahm ich den Hörer des Sprechfunkgerätes und rief unsere Leitstelle an.
»Hier ist Cotton«, sagte ich. »Ich habe im Ausgangsbuch eingetragen, dass ich gegen sechs Uhr zurück sein würde. Man soll die Eintragung umändern in acht Uhr. Ich habe unterwegs ein paar Sachen zu erledigen. Man kann mich über Sprechfunk in meinem Jaguar erreichen.«
»Okay, Jerry«, erwiderte der Kollege aus der Leitstelle. »Ich lasse die Eintragung im Ausgangsbuch entsprechend abändern.«
»Danke«, sagte ich und legte den Hörer zurück.
An dem nächsten Drugstore hielt ich an, um ein Würstchen zu essen und eine Tasse heißen Kaffee zu trinken. Dabei rauchte ich eine Zigarette und dachte den ganzen Kram durch, den ich im Laufe des Nachmittags erfahren hatte.
Es gab eine Möglichkeit, die mir sehr wahrscheinlich vorkam: Irgendjemand aus der New Yorker Unterwelt wollte mit Faloire Kontakt aufnehmen. Und diesem Jemand war es offenbar auch gelungen.
Angenommen, das war richtig, dann ergab sich noch die Frage, warum jemand um jeden Preis mit Faloire Kontakt suchen wollte.
Darauf, so schien es mir, hatte Faloire inzwischen bereits selber die Antwort gegeben. Wenn es stimmte, dass er es war, der den kleinen Bandenchef Jimmy Redstön erschossen hatte, dann gab es dafür wieder nur eine Erklärung: Faloire tat dies im Auftrag eines Hintermannes. Vermutlich hatte dieser Faloire dafür ein sicheres Versteck oder gar eine Fluchtmöglichkeit ins Ausland versprochen. Da Faloire in einer verzweifelten Lage war, musste er ein solches Angebot annehmen.
Die nächste Frage, die sich zwangsläufig ergab, lautete: Wer hat ein Interesse daran, dass der kleine Bandenchef Redston ermordet wird? Dazu konnte man eine zweite Frage stellen, nämlich die: War der vorher gestorbene Bandenchef Raggers etwa auch ermordet worden, und zwar von denselben Leuten oder jedenfalls im Aufträge desselben Mannes?
Beide Fälle konnten Zusammenhängen. Wenn sie wirklich miteinander zu tun hatten, drängte sich einem die Antwort geradezu auf: Calhoone versucht, wie bekannt, die Herrschaft in der Unterwelt an sich zu reißen. Angenommen, Raggers und Redston wären dagegen gewesen, dann hatte man ein Motiv, warum sie ermordet werden mussten. Folglich ergab sich, dass Faloire für Calhoone arbeitete.
Ich drückte meine Zigarette aus. Das alles war nichts als eine Theorie, aber sie hatte einiges für sich. Auf jeden Fäll wollte ich dieser Theorie einmal nachgehen. Schaden konnte es nichts, denn eine bessere Spur von Faloire hatte ich ja doch nicht.
Mit dem Jaguar fuhr ich hinauf nach Norden. Ich erkundigte mich beim nächsten Revier nach dem Haus, in dem Raggers gewohnt hatte.
Als ich vor dem Hause hielt, sah ich einen grünen Chevrolet, der genau vor mir geparkt war. Ich dachte mir nichts dabei, denn Chevys gibt es bei uns wie Sand am Meer.
Ich ging ins Haus und stieg die Treppen hinan. Zwar gab es einen Fahrstuhl, aber der war gerade nach oben unterwegs.
Ich fand die Wohnung, die an der Tür ein Schild mit dem von mir gesuchten Namen trug. Gerade wollte ich klopfen, da ich keine Klingel finden konnte, als ich aus der Wohnung einen unterdrückten Schrei hörte.
Eine Sekunde oder eine halbe stutzte ich, dann bückte ich mich und legte das Ohr ans. Schlüsselloch.
»…
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