0234 - Der Boß kennt kein Erbarmen
Mord!«
***
»Miss Raggers muss ein paar Sachen aus ihrer Wohnung holen, Jimmy«, sagte ich zu meinem Kollegen Jimmy Reads. »Sie wird ein paar Tage bei einer Freundin wohnen. Wir haben das telefonisch schon geklärt. Aber ich möchte, dass sie jetzt allein in ihre Wohnung geht.«
Jimmy nickte:
»Okay, Jerry. Ich passe schon auf. Rechnest du mit etwas Bestimmtem?«
»Nicht eigentlich. Aber es besteht die Möglichkeit, dass jemand Miss Raggers ausgerechnet in der Zeit besucht, wo sie ihren Koffer packt. Wer auch immer dort auftauchen mag und keinen plausiblen Grund für seinen Besuch hat, den bringst du mit zum Distriktgebäude. Vorläufige Festnahme.«
»Okay. Kommen Sie, Miss Raggers!«
Das Mädchen verabschiedete sich von mir. Sie wollte eine Dankesrede vom Stapel lassen. Ich schob sie grinsend zur Tür hinaus. Danach machte ich mich fertig. Ich prüfte den Sitz der Waffe in der Schulterhalfter. Zwei Reservemagazine nahm ich und schob sie in die Hosentasche.
Anschließend fuhr ich hinauf ins Archiv und sagte:
»Ich brauche das Bild von einem gewissen Snowdon, Ralph Snowdon.«
Ein paar Minuten später lag das Bild aus unserer Kartei vor mir. Ich betrachtete es gründlich, bis ich mir alle wichtigen Einzelheiten eingeprägt hatte. Als ich sicher war, dass ich den Gangster auch erkennen würde, selbst wenn er sich inzwischen eine andere Frisur, eine Brille oder ein Bärtchen zugelegt haben sollte, gab ich das Bild zurück.
Mit dem Jaguar fuhr ich bis drei Blocks vor das Lokal, das Chester mir genannt hatte. Ich parkte den Wagen und schlenderte zu Fuß weiter, eine Zigarette im Mundwinkel und die Hände in den Hosentaschen, ein Mann, der sich noch nicht darüber im Klaren ist, wie er den Abend verbringen soll.
Das Lokal war von mehreren halben Bambuswänden in lauter kleine Nischen unterteilt. Ich tat, als ob ich Bekannte suchte, und warf einen raschen Blick in jede der Nischen. Die meisten waren von Pärchen in Beschlag genommen.
Danach stellte ich mich an die Theke. Ich verlangte einen Whisky pur auf Eis. Als ich ihn gerade serviert bekam, kam Snowdon herein. Ich hatte nicht einmal Zeit, an dem Glas zu nippen oder wenigstens das Geld dafür auf die Theke zu werfen. Ich hatte keine Ahnung, woran es lag, aber Snowdon drehte sich auf der Schwelle wieder um und stürzte hinaus. Vielleicht kannte er mich.
Ich jagte hinter ihm her. Am Eingang prallte ich mit einem dicken Kerl zusammen, der auf der Stelle anfing, Vorträge über das Benehmen der heutigen Jugend zu halten. Dabei war er höchstens zehn Jahre älter als ich.
Mit einem ärgerlichen Zuruf brachte ich ihn wenigstens dazu, dass er erschrocken den Weg freigab. Ich stürzte an ihm vorbei auf die Straße.
Snowdon hetzte gerade über die Fahrbahn. Ich jagte hinter ihm her. Dabei zog ich meine Waffe und schrie:
»Bleiben Sie stehen, Snowdon! Stehen bleiben oder ich schieße!«
Er hatte den gegenüberhegenden Gehsteig erreicht, sah sich einmal hastig um und verschwand im Hauseingang des nächsten Mietshauses. Es war eine Bude von acht oder neun Etagen.
Autos hupten, als ich die Fahrbahn überquerte, dann hatte auch ich den Gehsteig erreicht. Zwei Männer wollten sich mir in den Weg stellen. Vielleicht hielten sie mich für einen Gangster, weil ich ein Schießeisen in der Hand hielt.
Ich rannte zwischen ihnen hindurch. Vor der Haustür gab es vier oder fünf Stufen. Ich schnellte mich mit einem einzigen Satz hinauf. Die Tür stand offen.
Snowdon hatte den entscheidenden Fehler gemacht.
Statt sich sofort in irgendeine Wohnung Einlass zu verschaffen, stürmte er wie ein Wilder die Treppen hinan.
Ich hörte seine Schritte und sein Keuchen, als er einmal stehen bleiben musste, um einen Augenblick zu verschnaufen.
Die Treppen von acht Etagen sollte man eigentlich benutzen, wenn das Haus brennt und der Fahrstuhl außer Betrieb ist. Aber da Snowdon so erpicht darauf war, einen Zeitrekord für das Erklimmen von acht Treppen aufzustellen, blieb mir nichts anderes übrig, als ihm nachzujagen.
Zum Glück brannte Licht im Treppenhaus. Draußen war es längst dunkel geworden.
Keuchend jagte ich von einem Treppenabsatz zum nächsten. Als ich die ersten vier Etagen überwunden hatte, merkte ich, wie mir die Luft knapp wurde.
Aber ich war Snowdon noch kein Stück näher gekommen, und so hetzte ich weiter.
Als ich die fünfte Etage erreicht hatte/hörte ich den Gangster ganz oben mit den Füßen gegen eine Tür trampeln. Ich holte das Letzte aus mir heraus.
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