0234 - Macht und Mythos
ziemlich hilflos, trotz seiner inzwischen zurückgewonnenen Kräfte.
Sheila hatte die Küche mittlerweile erreicht und stellte die Kaffeemaschine an. Sie schaute durch das Fenster in den Vorgarten, wo die Lampen noch immer brannten. Da die Morgenstunden begannen, hatten sich erste Nebelwolken gebildet. Sie hingen wie graue, auseinandergezogene Watteflocken um die hellen Kugeln und machten aus ihnen milchige Gebilde.
Nadine sah Sheila nicht. Sie spürte nur, dass die Wölfin auf einmal da war, sich gegen ihre Beine presste und leise knurrte.
Sheila beugte sich nach unten. »Was hast du denn?« fragte sie und streichelte das Tier. »Du brauchst keine Angst zu haben, John kommt zurück.«
Nadine entwand sich durch eine geschickte Körperdrehung dem Griff der Frau. Sie lief auf die Küchentür zu und war verschwunden. Wenig später traf Sheila das Tier in dem Gang wieder, wo auch Johnnys Zimmer lag.
»Gehst du weg!« rief Sheila und deutete zum Ausgang. Sie wusste genau, weshalb sie das tat. Wenn die Wölfin mit ins Zimmer kam, dann sprang sie auf das Bett des Kleinen und weckte Johnny auf. Er war immer sehr quengelig und nur schwer zu beruhigen.
Nadine gehorchte widerstrebend. Dass sie weggeschickt wurde, passte ihr überhaupt nicht, doch Sheila wollte sie auf keinen Fall im Zimmer ihres Sohns haben.
Sie ging die letzten Schritte, erreichte die Tür, blieb einen Moment stehen und drückte dann behutsam die Klinke nach unten. Johnny sollte auf keinen Fall wach werden. Er schlief manchmal sehr unruhig und strampelte im Schlaf des öfteren seine Bettdecke weg, so dass Sheila ihn nachts noch einmal zudeckte.
Im Gang hatte sie das Licht brennen lassen. Als sie die Tür öffnete, bahnte sich der gelbe Schein einen Weg in das Zimmer. Er fiel allerdings nicht bis an das Bett. Die helle Schneise fand zuvor ihr Ende, und zwar an der Matte, die vor dem Bett des Kleinen lag.
Sheilas Schatten verdunkelte die gelbe Lichtbahn, als sie den Raum betrat. Nach zwei Schritten blieb sie verwundert stehen. Johnny hatte nicht gestrampelt, die Bettdecke lag noch so fest wie am Abend, als Sheila ihren Sohn hingelegt hatte.
Manchmal geschehen noch Zeichen und Wunder, dachte sie, beugte sich vor und zog die Decke ein wenig zur Seite, um nach Johnny schauen zu können.
Sheila wunderte sich, dass der Stoff zusammenfiel, obwohl er über dem Körper lag. Eigentlich hätte Sheila Widerstand finden müssen. Den fand sie auch, aber er fühlte sich seltsam an.
Sheila verharrte. Ihr eigenes Herz schlug plötzlich oben im Hals. Ein paar Mal musste sie schlucken, um das würgende Gefühl aus der Kehle zu bekommen. Sie ahnte etwas, und sie dachte darüber nach, ob sie nicht ihren Mann holen sollte.
Nein, nur keine Zeit verlieren. Mit einem heftigen Ruck zog Sheila die Decke zurück.
Die Frau glaubte, wahnsinnig zu wer; den. Obwohl das Licht das Bett nicht erreichte, konnte sie im Dämmerschein doch erkennen, was da vor ihr lag.
Nicht Johnny Conolly, sondern ein bleiches Skelett!
Sheila stand kurz vor dem Durchdrehen. Die Augen hatte sie so weit aufgerissen, dass sie schon verdreht wirkten. Ein unsichtbarer Ring hatte sich um ihren Körper gelegt und schnürte ihr die Luft ab, denn sie schaffte es nicht, Atem zu holen. Zu schrecklich war das, was vor ihr lag.
Johnny, ihr Sohn, war zu einem Skelett geworden. Es musste sich einfach um ihn handeln, denn der Größe nach konnte es nur ein Kind sein.
Angstschauer liefen über Sheilas Rücken. Sie zitterte. Zwischen den Lippen bildete sich eine Höhle, doch kein Schrei wollte den Mund verlassen. Die Frau war vor Entsetzen erstarrt.
Niemand hatte das Schreckliche bemerkt, das sich in diesem Raum abgespielt hatte. Nicht die Erwachsenen waren von den Dämonen angegriffen worden, sondern einzig und allein ein unschuldiges Kind. Und sie hatten eiskalt reagiert. Gnadenlos zugeschlagen, um ihre schreckliche Rache zu vollenden.
Jedes Mittel war ihnen recht. Vor nichts nahmen sie Rücksicht. Weder Frauen noch Kinder zählten, allein der Erfolg war für die Kräfte der Schwarzen Magie wichtig.
Das erlebte Sheila in diesen Augenblicken besonders deutlich, und sie spürte, wie sich allmählich die Steifheit des Entsetzens löste. Der Schock musste sich einfach durch einen Schrei Luft verschaffen.
Bevor es dazu kam, saugte sie noch einmal tief die Luft ein, wobei ein pfeifendes Geräusch durch ihren Mund tönte.
Sheila Conolly sah nur das Skelett im Bett liegen. Sie schaute nicht in den anderen Teil des
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