0234 - Macht und Mythos
machte diese Bewegung zwangsläufig mit.
Der Legionär, der auch in meine Richtung geschaut hatte, stand dicht neben dem Gefesselten. Er schien so etwas wie ein Anführer zu sein, denn er trug einen glänzenden Helm, auf dem ein Federbusch wuchs.
Überhaupt animierte mich die Kleidung dieser Männer zum Nachdenken. Zunächst einmal ging ich davon aus, es mit Soldaten zu tun zu haben. Ihre Beine waren nackt, nur um die Hüften trugen sie ein kurzes, rockartiges Kleidungsstück. Die Oberkörper glänzten schweißnass. Der Staub hatte sich auf die Haut gesetzt und bildete eine klebrige Schicht. Die Helme bestanden aus Metall, die Füße steckten in geschnürten Sandalen.
Der Anführer hielt auch die Peitsche fest. Ich hatte solche Peitschen schon gesehen. Der lange Riemen bestand aus Büffelhaut, der Stiel war kurz, handlich und aus Holz gefertigt.
Im Gürtel des Mannes steckte ein Kurzschwert, wie es auch die anderen Legionäre trugen.
Ich begann zu rechnen. Die Herrschaft Roms über die bekannte damalige Welt hatte auch mit Christi Geburt nicht nachgelassen, sie war noch Jahrhunderte weitergegangen. Und irgendwann in dieser Zeit nach dem offiziellen Rechenbeginn musste ich mich befinden.
Ein Phänomen. Doch ich hatte mittlerweile aufgehört, mich zu wundern. Mit Magie war eben fast alles möglich.
Mein Blick wechselte. Er konzentrierte sich jetzt auf den am Pfahl angebundenen Gefangenen.
Es war ein schon alter Mann. Sein Haar umrahmte schlohweiß das schmale Gesicht. Er trug ein sackähnliches Büßergewand, das inzwischen von Peitschenhieben zerfetzt war, so dass ich die helle Haut mit den langen, blutigen Streifen sehen konnte.
Auch das Gesicht war nicht verschont geblieben. Die Hundesöhne hatten überall hingeschlagen und keine Rücksicht genommen.
Bewusstlos war der Mann nicht, denn ich bekam mit, wie er den Kopf hob. Seine blutigen Lippen wollten Worte formen. Der Anführer bemerkte dies und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Kopf prallte zurück und gegen den Pfahl. Dann sagte der Mann etwas, was ich nicht verstand, schüttelte wild den Kopf, streckte den Arm aus und gab seinen Leuten ein Zeichen. Die Männer bückten sich, während der Anführer sich zu ihnen gesellte.
Ich hatte nur Augen für die vier Legionäre und sah, dass sich ihre Finger um die am Boden liegenden Steine schlossen.
Da wusste ich, was sie vorhatten. Sie wollten den Gepeinigten steinigen. Eine alte Art der Hinrichtung, wie ich sie aus der Bibel her kannte.
Ein wahrlich grausamer Tod, und ich schüttelte mich, als ich daran dachte. Aber noch war der alte Mann nicht gestorben. Da hatte ich ebenfalls ein Wörtchen mitzureden.
Der scharfe Befehl des Anführers zerschnitt die Stille. Die Männer hoben ihre Arme. In den Händen lagen die Steine. Ich konnte sie genau erkennen, wenn ich meinen Kopf ein wenig nach links drehte.
Da griff ich ein. Schnell wie ein Gedanke verließ ich meine Deckung am Felsen, sprang zwischen den Gefangenen und seine Henker und rief mit lauter Stimme: »Haltet ein!«
Ich glaubte nicht, dass sie mich verstanden hatten, aber den Zeitpunkt der Überraschung verbuchte ich auf meiner Seite. Die fünf Männer waren völlig von der Rolle. Die Arme blieben in der Haltung stehen, als würden sie an irgendwelchen Seilen hängen. Sie sanken auch trotz der schweren Steine nicht nach unten.
Für einen Moment hatte ich Angst, dass sie ihre Überraschung schneller überwanden, als ich annahm, und die Steine auf mich warfen. Das jedoch geschah nicht.
Zudem hätte ich nicht getötet werden können, da ich noch in der fernen Zukunft gelebt hatte.
Sie blieben in der Haltung. Einige Zeit verstrich. Niemand sprach etwas, nur hinter mir vernahm ich das Stöhnen des Gefesselten.
Die römischen Legionäre warteten auf den Befehl des Anführers. Sie selbst unternahmen nichts, schielten nur zur Seite, um erkennen zu können, was ihr Chef wollte.
Der wusste auch nicht, was er tun sollte. Im Moment schaute er dumm aus der Wäsche. Mit mir konnte er nicht viel anfangen, das war seinem Gesicht deutlich anzusehen.
»Weg mit den Steinen!« Ich zischte ihnen den Befehl zu. Obwohl sie meine Sprache nicht verstanden, hoffte ich sehr, dass sie begriffen, was ich wollte.
Aber sie behielten die Steine oben, auch wenn es ihnen schwer fiel, wie ich an den verzerrten Gesichtern ablas. Nur der Anführer reagierte. Seine Hand fiel nach unten, klatschte auf den Waffengriff, und mit einer tausendmal geübten und gleitenden
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