0236 - Ich ging in die Höhle des Löwen
der Tasche, öffnete die beiden Tresorschlösser mit den dazugehörigen Schlüsseln, drehte den Riegelhebel und zog die Stahltür auf.
Ich warf ihm meine Aktentasche hin.
»Einpacken! Nur die großen Scheine.«
Die Pistole in meiner Hand erlaubte keinen Widerspruch. Der Kassierer stopfte die Notenbündel in die Tasche.
»Schneller!«
Ich sah die dicken Schweißperlen auf der Stirn des Mannes. Einmal ließ er ein Notenbündel fallen.
»Genug«, knurrte ich. »Gib her!«
Er wankte bis an die Barriere und gab mir die Tasche, die ich unter den linken Arm klemmte.
»Herkommen!« befahl ich. »Die anderen auch!«
Der Clerk, das Mädchen und der Buchhalter mußten vor die Barriere treten.
»Hinlegen! Mit dem Gesicht fiach unten!«
Sie gingen zu Boden.
»So ist es schön. Hört mal gut zu! Wer auf sieht, bevor ich es ihm erlaube, fängt sich ’ne Kugel ein!«
Der Befehl war reiner Unsinn, und dennoch würde er mir zwei Minuten Vorsprung verschaffen.
Rückwärtsgehend verließ ich die Bank. Ich machte mir nicht die Mühe, die Tür zu schließen. Als ich draußen war, steckte ich die Pistole ein. Schnell, aber nicht hastig, ging ich zu meinem Wagen.
Als der Motor ansprang, hörte ich den Schrei:
'- »Hilfe! Überfall! Hilfe!«
***
Ich, Less Harrigan, war Besitzer von 65 670 Dollar. Genau diese Summe hatte ich erbeutet. Eigentlich hatte ich mit mehr gerechnet, aber der Mensch soll nicht unbescheiden sein. Ich verbrachte zwei genußreiche Stunden in meinem Hotelzimmer damit, die Dollars zu zählen.
Dreitausend Dollar in Hunderter-Scheinen verstaute ich in meiner Brieftasche, den Rest verpackte ich in einen kleinen Koffer und legte ihn in meinen Wagen.
Ich machte mir das Vergnügen, durch die Washington Street zu fahren. Vorder Bank standen zwei Wagen von Captain Walburns Polizei, zwei Dutzend Neugierige und der große Cadillac von Allan Ruster, aber ich wußte nicht, ob Allan selbst gekommen war oder ob er nur ein paar seiner Leute geschickt hatte.
Ich verließ Charlesville und fuhr- nach Clayton. Selbstverständlich gibt es auch in Clayton eine Bank, und ich ging hinein und mietete ein Tresorfach, das groß genug war, um meinen Koffer darin unterzubringen. Der Bankangestellte, der mir das Fach vermietete, nannte mir ein Stichwort. Ich zahlte die Gebühr und sah mit einem Lächeln zu, wie das Geld, das ich der »Alten Carolina-Bank« geraubt hatte, in den Tresor der Clayton-Bank getragen wurde.
***
Ich war immer dafür, daß der erfolgreiche Abschluß eines Jobs begossen werden soll, und Charlesville war ge- nau das richtige Pflaster, um sich eine Nacht um die Ohren zu schlagen.
Freilich, noch vor zwei Jahren wäre es schwergefallen, in der Stadt eine Kneipe zu finden, deren Ausschank nicht um Mitternacht geschlossen wurde, aber das hatte sich geändert, als oben im Appalachian-Gebirge, an dessen Fuß Charlesville liegt, die große Buddelei begann.
Damals rollten Tag und Nacht riesige Baumaschinen durch die Straßen. Ein Dutzend der größten Baufirmen der USA schickten eine Armee von Arbeitern in die Berge. Niemand wußte, was dort gebaut wurde. Vermutlich handelte es sich um irgendein riesiges militärisches Objekt, denn die Leute, die es kommandierten, stopften die Dollars mit der gleichen Leidenschaft in die Erde, mit der die Raketenmänner sie in die Luft jagen.
Für das verschlafene Charlesville begann mit der Ankunft des ersten Baggers eine neue Zeit. Binnen vierundzwanzig Monaten sprang die Einwohnerzahl von fünftausend auf rund zwanzigtausend Seelen. Geschäftemacher, Spieler, Girls strömten in die Stadt, denn an jedem Wochenende schlug eine Woge von dollarschweren Arbeitern über Charlesville zusammen. Die Jungens, die eine Woche lang hart in und unter den Bergen geschuftet hatten, wollten sich vergnügen und Drinks kaufen, und sie bekamen alles — was ihr Herz begehrte —, gegen Barzahlung geliefert.
Es war die Goldrush-Form des 20. Jahrhunderts. B.trs, Drugstores, Show-Unternehmen, Würstchenbuden, Rummelplätze und Spielhöllen schossen in Charlesville wie Pilze aus der Erde.
Grelle Lichtreklamen leuchteten an Hausfassaden auf, deren Verputz noch nicht trocken geworden war.
Die Stadt wurde nicht schöner dadurch. Sie blieb ein lausiges Nest, aber vielleicht ist es richtiger, Charlesville als eine Art Sumpf zu bezeichnen.
Nur an den Wochenenden geht es rund in Charlesville. Da es mir keinen Spaß macht, einziger Gast einer Bar zu sein, hielt ich mich bis zum Freitag zurück, bevor
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