024 - Irrfahrt der Skelette
genau.
Ein erster Kontakt war gefunden, die ersten Worte gewechselt. Ein
Schiff, auf dem man drei Wochen verbrachte, bot zahllose Möglichkeiten für
einen ausgedehnten Flirt.
Sie betraten gemeinsam den exklusiv eingerichteten Speiseraum. Die
Tische waren einheitlich mit türkisfarbenen Decken belegt, das Gedeck war
bereits aufgetragen.
Clea Utrami wurde von einem Kellner an den für sie vorbereiteten
Platz geführt. Es war der erste Abend auf dem Schiff, und jeder bekam seinen
Tisch zugewiesen.
Larry Brent wurde nach rechts gewunken. Gino, in einer frisch
gestärkten weißen Jacke mit einer schwarzen Fliege, deutete auf einen Ecktisch,
an dem bereits jemand Platz genommen hatte. Es war Angela Morris. Sie saß mit
dem Rücken zur Tür, so daß sie Larry nicht sehen konnte, als dieser herankam.
Gino grinste verschmitzt, und die Fältchen unter seinen Augen
schienen von einem Augenblick zum anderen mehr zu werden.
Die Atmosphäre des Speiseraums strahlte Gemütlichkeit und
Geborgenheit aus. Rundum waren die Fenster mit bis auf den Boden
herabreichenden, sonnenblumengelben Vorhängen zugezogen, die Stores waren so
breit, daß auch die holzgetäfelten Wände in diese Vorhangfront einbezogen wurden.
Auf jedem Tisch stand eine mit frischen Blumen gefüllte Vase nebst
einer brennenden Kerze. Angenehm warmer Lichtschein lief an den Vorhangleisten
entlang.
Angela Morris studierte die umfangreiche Menükarte für das
Abendessen. Larry kam auf dem dicken Teppichboden lautlos näher. Das
braunhäutige Girl merkte nicht, daß der Agent sich von hinten über sie beugte
und ebenfalls einen Blick auf die Menükarte warf.
»Ziemlich verwirrendes Angebot, Miss Angela«, murmelte er.
»Tomatencremesuppe - kalte oder warme Madrilener Kraftbrühe als Vorspeise -
Reis englischer Art - Heringsstücke-Viareggina-Lammkeule a la Menthe - hm, was
für ein Genuß! Das ist ja das reinste Paradies für einen Gourmet. Gebackener
Truthahn - Saisongemüse - Saucen Aurora - Vinaigrette - Pfefferminz -
Käseplatte ... «
Er las immer noch munter drauflos, als sich Angela Morris nach
seinen ersten Worten bereits umgedreht hatte und ihn musterte wie einen Geist.
»Das darf doch nicht wahr sein«, kam es wie ein Hauch über ihre
Lippen.
»Doch, es ist wahr«, sagte Larry leise und kam um den Tisch herum.
»Eine solche Frau, ein solches Schiff und solch eine erlesene Auswahl an
Delikatessen - sagen Sie mir, wo es im Augenblick schöner sein kann, Angela?
Als wir uns am Flughafen trennten, da wußte ich, daß ich Ihnen wieder begegnen
würde. Und zwar hier auf der MS Andrea Morena - und nun lassen Sie sich durch
mein Erscheinen das Essen nicht vermiesen. Ich hoffe, mein Anblick ist Ihnen
nicht so auf den Magen geschlagen, daß Sie nun keinen Appetit mehr haben? Okay,
dann beschäftigen Sie sich nur weiter mit der Karte, wählen Sie in Ruhe aus!
Ich verlasse mich ganz auf Ihren Geschmack. Als erfahrene Hostess auf einem
Schiff werden Sie wohl am besten wissen, was man um diese Zeit zu sich nimmt.«
Sie verbrachten den Abend gemeinsam wie zwei alte Bekannte, die
sich nach langer Zeit durch einen Zufall wieder getroffen hatten.
Sie tanzten in einem der Salons, in denen zwei Kapellen spielten.
Obwohl sich Larry intensiv mit Angela beschäftigte, sich ihr widmete, sich mit
ihr unterhielt, vergaß er nicht, daß Torrance die wichtigste Person hier an
Bord war.
Schon während des Abendessens hatte X-RAY-3 den Platz des bleichen
Wissenschaftlers ausgemacht. Nach dem Essen hatte Torrance noch eine Zeitlang
im Speisesaal bei einem Glas Wein gesessen und vor sich hingestarrt.
Danach warf er einen Blick in die Bar, sah dem Treiben der jungen
Leute in den Tanzsälen zu und machte sich schließlich auf den Weg in das
Bordkino, wo ein Western gezeigt wurde. Offenbar interessierte ihn eine
handfeste Schießerei, denn er nahm einen Platz dort ein und befand sich nun
schon über eine Stunde im Kino. In knapp dreißig Minuten würde der Film zu Ende
sein.
Larry gewann den Eindruck, als wisse Torrance nicht so recht, was
er mit sich und seiner Zeit anfangen sollte. Es schien ihm nur darauf
anzukommen, daß sich das Schiff auf hoher See befand.
Torrance war ein typischer Außenseiter, der nicht einmal hier
versuchte, Anschluß an einen anderen Reisenden zu finden. Da saß ein älteres
Ehepaar an seinem Tisch, ebenso eine reiche amerikanische Witwe, aufgetakelt
wie ein Schlachtschiff und offensichtlich auf der Suche nach einem männlichen
Begleiter während
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