024 - Lebendig begraben
Seufzen der Menge, spürte die Atemlosigkeit, nun da es beginnen sollte. Ich wusste, dass Geissler dicht vor mir stand und trat blind nach ihm. Aber er wich aus.
„Ihr zwei, haltet seine Füße fest!“ befahl er. „Wir brauchen auch mehr Licht, damit uns kein verräterischer Fleck an seiner Haut entgeht.“
„Seid ihr Narren, dass ihr diesem Scharlatan glaubt?“ rief ich plötzlich. „Er ist ein Mörder, und ihr macht euch mitschuldig.“
Jemand rammte mir die Faust in den Magen. Ich rang nach Luft. Übelkeit und der Schmerz an den Handgelenken raubten mir fast die Besinnung.
„Wir beginnen hier“, vernahm ich undeutlich Geisslers Stimme.
Dann glühte mein Körper plötzlich, als jemand eine Fackel brachte, um besser zu sehen.
In nächsten Augenblick stach etwas von unten in meine Achsel und schob sich tief hinein. Ich brüllte auf, dass es weithin zu hören war, und schrille Echos von den alten Mauern widerhallten.
Ein Seufzen ging durch die Menge, aber kein Wort fiel. Nur Geissler wandte sich an einen seiner Gehilfen. „Nun du! Ich werde dir zeigen, wo. Hier!“
Gleich darauf ein Stich nicht weit von der ersten Stelle. Aber es war nur ein zaghafter Einstich, der mich lediglich zusammenzucken ließ.
„Tiefer!“ befahl Geissler fanatisch. „Wir wollen auch die außen vor dem Tor teilnehmen lassen.“
Die Nadel stach tief ins Fleisch wie ein glühender Stab. Ich schrie auf.
„Na also!“ meinte Geissler befriedigt. „Wir müssen Geduld haben, meine Freunde. Satan macht es uns nicht so leicht.“
Wieder drang die Nadel ein, am Schenkel diesmal. Der Schmerz war unbeschreiblich. Ich brüllte und wand mich, aber die Nadel stach mit methodischer Grausamkeit an immer neuen Stellen ins Fleisch. Am schlimmsten war der Schmerz an den Füßen, an der Brust und unter den Achseln. Bald verschwamm alles um mich. Es war mir, als hörte ich nicht mehr auf zu schreien, als gingen die einzelnen Augenblicke des Schmerzes ineinander über. Ich merkte keinen Unterschied mehr, ob die Nadel stach oder nicht. Der ganze Körper brannte wie Feuer. Blut quoll aus unzähligen Wunden. Das zerstochene Fleisch schwoll an. Die rechte Seite meiner Brust fühlte sich taub, empfindungslos und wie Eis an. Die kalte Faust des Todes, dachte ich in meiner Pein. Sie erschreckte mich nicht. Es gab nur eines, das ich wahrhaftig fürchtete – aus tiefster Seele fürchtete: das Feuer.
Ich musste für Bruchteile von Sekunden das Bewusstsein verloren haben. Ein Aufschrei Geisslers schreckte mich auf. Der Ruf vibrierte vor Triumph. Gleich darauf stöhnte die Schar der Versammelten. Jemand riss das Tuch von meinen Augen.
„Er ist schuldig! Der Beweis ist erbracht!“ schallte Geisslers Stimme trunken über den Platz
Beifall brandete auf.
Ich blickte nach unten und erstarrte, plötzlich erfasst von einem wilden Grauen. Aus meiner rechten Brust ragte der hölzerne Griff der Nadel. Und ich spürte es nicht!
„Seht selbst!“ rief Geissler.
Er trat zu mir und zog das Instrument mit einem Ruck heraus. Es glänzte metallisch im Licht der Flammen; und es war kein Blut daran.
„Hier!“ Er hob es hoch und schwenkte es vor aller Augen. Dann glitten seine Finger einen Augenblick über meine Haut, bis er den Einstich wieder gefunden hatte. Er setzte die Nadel an, und ich wappnete mich gegen den Schmerz. Ungläubig verfolgte ich, wie die Nadel eindrang. Nichts. Keine Empfindung. Hilflos starrte ich in Geisslers grinsendes Gesicht.
Dann schrie ich wütend, außer mir vor Wut, rasend vor Wut. Offenbar schien die Menge etwas dämonisches in meinem Rasen zu sehen, denn die Umstehenden wichen zurück.
Jemand rief: „Ins Feuer mit ihm!“
Der Schrei fand ein vielfaches Echo, bis schließlich die Menge wie ein Geschöpf schrie: „Ins Feuer mit ihm! Ins Feuer mit ihm!“
„So soll es sein“, erwiderte Geissler. Er winkte seinen Gehilfen. „Nehmt ihn ab und bindet seine Füße! Wir wollen ihn draußen verbrennen, damit alle es sehen und jeder Holz ins Feuer werfen kann und so mitschuldig werde an seinem Tod. Du sollst nicht dulden, dass eine Hexe lebt, heißt das Gebot. Wir wollen beweisen, dass keiner es duldet.“
Die Männer banden mich los. Ich entglitt ihren Armen, als ich zu Boden fiel. Sie fassten nach mir, aber das Blut an meinem ganzen Körper machte mich schlüpfrig. Ich taumelte hoch und sah nur Geisslers breiten Rücken vor mir. Jemand warnte ihn, aber zu spät. Er wandte sich halb um, und es befriedigte mich, dass er sah, wie
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