024 - Lebendig begraben
sehen musste. Es sprach kein Hass mehr in seiner Stimme, nur Befriedigung.
„Diesmal wird alles ein Ende nehmen“, sagte er leise, so dass nur ich es hören konnte. „Ja, mein Junge, ich habe in all diesen Jahren viel Spott erduldet. Aber nun ist es vorbei. Wenn du heute Nacht stirbst, ist es vollbracht.“ Er grinste plötzlich. „Natürlich weiß ich so gut wie du, dass du nicht dieser Gerhard Bermann bist, den ich jahrelang verfolgte. Du kannst es gar nicht sein, denn ich selbst habe ihn vergiftet. Was auch die Zeitungen schrieben, ich weiß, dass das Gift unbedingt tödlich war. Aber er hatte einen Sohn, den er selbst vor seiner Frau geheim hielt. Es war ein dummer Trick von ihm, sich als Gerhard Bermann auszugeben, um so Rache am Mörder seines Vaters nehmen zu können. Er beging den Fehler, sich an meine Tochter heranzumachen, und sie war dumm genug, sich mit ihm einzulassen. Wir hatten seine Spur. Es war höchst einfach, ihn zu erledigen. Und nun bist du, der Sohn und Enkel, der letzte der Bermanns. Mit dir werden alle Bermanns noch einmal sterben – langsam und ohne Hast.“
Er ließ meinen Kopf los. Ich hatte kein Wort von dem verstanden, was er da erzählt hatte – außer dem letzten Teil. Ich versuchte ihm ins Gesicht zu spucken; es ging daneben, aber es brachte ihn in Wut.
Er winkte seine beiden Gehilfen herbei. „Zieht ihn aus!“
Die beiden machten sich daran, mit Taschenmessern die kurzen Hemdsärmel aufzuschlitzen und mir das Hemd mehr vom Körper zu reißen, als zu schneiden. Ich konnte nur mit Mühe Aufschreie unterdrücken.
Die Versammelten waren ruhig geworden. Sie starrten gebannt auf mich und das, was die Männer taten.
„Ganz!“ befahl Geissler, als die beiden innehielten und die Fetzen des Hemdes zur Seite warfen.
Sie machten sich grinsend daran, mir die Hosen aufzuschneiden.
„Ihr könnt ihm die Fußfesseln ruhig abnehmen. Er wird nicht mehr lange Kraft genug haben, zu treten.“
Nach einem Augenblick hing ich nackt vor der Menge – die ein Meer von im Fackellicht funkelnden Augen war. Ich empfand keine Scham, mehr eine eigentümliche Erregung, wie ich sie oft in den vergangenen Wochen empfunden hatte. Ich sah den Teufel in diesen funkelnden Augen; in einigen in Form von Hass; in anderen in Form von sadistischer Lust, von prickelnder Erwartung, mich vor Pein schreien zu hören; und wieder bei anderen war es Genugtuung, befriedigte Rachsucht. Alle waren von Sinnen, und Geissler sorgte dafür, dass der Rausch nicht verflog. Satan wurde wacher mit jeder Sekunde. Es war, als ob er mir zugrinste; wie ein Bruder. Unvermittelt kam mir in den Sinn, was Geissler gesagt hatte: dass der Teufel von meiner Seele Besitz ergriffen hatte. Das schien mir plötzlich gar nicht mehr absurd. Es erklärte so perfekt meine Aktivität der letzten Monate, meine Befriedigung, wenn ich jemanden dazu gebracht hatte, zu morden oder Böses zu tun. Es erklärte vielleicht auch meine augenblickliche Furchtlosigkeit und das erhebende Gefühl beim Anblick dieser aufgestauten Mordlust. Doch dann war es in Wahrheit nicht ich, der das alles empfand, sondern der Teufel in mir.
Und ich dachte: wenn es nur wahr wäre! Wenn es ihn nur wirklich in mir gäbe! Denn nichts fürchtete ich im Augenblick mehr, als allein zu sein, verlassen von dieser Kraft in mir, die mich mit Sarkasmus und Furchtlosigkeit erfüllte.
Aber dann vergaß ich allen Sarkasmus und alle Furchtlosigkeit. Ich sah, wie Geissler eine lange Nadel aus der Tasche nahm. Sie war mehr als eine Handbreit lang und von der Dicke einer starken Schusteraale. Er hob sie hoch, dass die Umstehenden es sehen konnten.
„Der Delinquent leugnete bis zum Schluss, meine Freunde, obwohl wir überzeugt sind, dass er schuldig ist. Wir müssen auch ihn überzeugen. Diese Nadel wird den Beweis erbringen, so wie sie auch vor dreihundert Jahren immer den Schuldigen fand. Verbindet ihm die Augen!“
Während das geschah, erklärte Geissler weiter: „Wir werden nun das Teufelsmal suchen, mit dem Satan ihn gebrandmarkt hat als sein Eigentum. Das kann eine winzige Stelle sein, irgendwo am Körper. Sie unterscheidet sich von allen anderen unreinen Punkten des Leibes dadurch, dass sie schmerzunempfindlich ist. Wenn diese Nadel in das Fleisch des Gefangenen sticht, und er stößt keinen Schrei des Schmerzes aus, dann wissen wir, dass er schuldig ist. Dann mag er brennen, wie es den Ketzern und Hexen und Teufelsanbetern zukommt.“
Ich sah nichts mehr, ich hörte nur das
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