0241 - Der Pesthügel von Shanghai
mit gespreizten und dem rechten vorgestreckten Bein. Beim ersten Wurf griff er daneben, so nervös war er.
Erst der zweite Versuch klappte.
»Festhalten!« schrie ich. »Am besten ist es, wenn Sie sich das Seil um den Arm wickeln.«
Er nickte und folgte meinen Anordnungen, während Suko auf unserer Seite das gleiche tat.
»Alles klar?« rief er.
Der Mann nickte. Sein Gesicht war nach wie vor von Angst und Panik gezeichnet. Er schluchzte und jammerte, sein Schreien klang erstickt. Wahrscheinlich besaß er nicht mehr die Kraft dazu.
»Aufpassen!« rief Suko ihm zu, und dann zeigte mein Freund, welch eine Kraft in seinem Körper steckte.
Der Inspektor beugte sich so weit zurück, wie es möglich war. Ich vernahm seinen keuchenden Atem, er verdrehte die Augen, seine Lippen zitterten, und an der Stirn traten zwei Adern so dick hervor wie Fingerstränge.
Schaffte er es?
Ich schaute nicht nur auf ihn, sondern auch auf den Begleiter Quens. Er war nach vorn gekippt, lag jetzt bäuchlings auf dem sumpfigen Boden. Seine Hände hatten sich förmlich in das Seil gedreht. Es war weiter vorn straff gespannt und schnitt auch hart in seine Haut. So stark, daß links und rechts davon das Fleisch deutlich hervorquoll.
Er ächzte.
Speichel sprühte vor seinem Mund. Der Schweiß rann über seine Stirn und lief in die Augenbrauen. Der Mann gab wirklich alles, aber ob es reichte, war fraglich.
Und auch Suko kämpfte. Er wollte diesen Menschen nicht den unheimlichen Kräften des Sumpfes überlassen.
»Hilf mir, John!«
Er stieß den Befehl zischend hervor. Ich hatte darauf gewartet, wollte meinem Partner aber nicht vorgreifen und packte nun das Seil, um es kräftig zu ziehen.
Gemeinsam unternahmen wir alles Menschenmögliche, um den Mann dieser Hölle zu entreißen.
Es wurde ein gnadenloser Kampf. Verbissen, zäh – wir rangen um jeden Zentimeter, wobei der Sumpf aus tausend braunen Armen zu bestehen schien, die ihr Opfer nicht losließen.
Der Kampf wogte hin und her.
Suko hatte sich weit zurückgebeugt. Ich kniete am Boden, hatte mein Kreuz durchgedrückt und das Seil um die Hände gewickelt.
Wir hatten Erfolg.
Bisher war der Sumpf stärker gewesen. Mit vereinten Kräften jedoch gelang es uns, den Chinesen aus dieser zähen Masse zu befreien.
Stück für Stück rutschte er. Der Mann wimmerte nur noch. Er war mit seinen Nerven am Ende, eine verständliche Sache.
Leider ging es nicht so rasch, wie wir es uns vorgestellt hatten.
Eine zweite Gefahr kam ebenfalls noch hinzu.
Es war das Gebäude an sich.
Gebaut für einen festen Grund, der sich nun verändert hatte, reagierten auch die Mauern. Zwar bestanden sie nicht aus einzelnen Steinen, so wie die Häuser in Europa, aber auch die Mauern aus festgestampftem Lehm konnten sehr schwer sein, wenn sie kippten.
Risse hatten sie schon.
»John, noch härter!« keuchte Suko.
Er hatte recht, denn nicht nur die Mauern waren in Mitleidenschaft gezogen worden, auch das Dach lag nicht mehr so fest und geriet ebenfalls in Bewegung.
Schon rieselte der Lehm über die Innenwände, dann fielen die ersten Brocken hervor, und eine dritte Gefahr machte uns plötzlich zu schaffen. Eine Gefahr, von der wir bisher nur gehört, sie allerdings nicht gesehen hatten.
Sie kam aus der Tiefe des Sumpfs!
Ein Zombie!
Nicht weit von dem bedauernswerten Mann entfernt, geriet der Boden in seltsame Schwingungen. Er warf meiner Ansicht nach stärkere Wellen, als würde sich unter ihm etwas bewegen.
Es war in der Tat so, und etwas stieß aus dem braunen Sumpf hervor.
Eine Hand!
Übergroß kam mir die Klaue vor. In der Farbe und Art an einen kurzen Baumstumpf erinnernd. Fünf Finger, die gespreizt waren und ihre spitzen Nägel zeigten.
In der Hand und am Stück des Unterarms sah ich dicke Furchen.
Sie schienen hineingeschabt zu sein, und in den kleinen Mulden schimmerte es grünlich.
Eine Pranke des Grauens bot sich unseren Augen. Ohne daß ein Teil des Oberkörpers gefolgt wäre, drehte sie sich plötzlich und wies mit ihrer geöffneten Fläche auf den noch immer im Sumpfboden steckenden menschlichen Körper.
Sie spürte ihn, sie roch ihn, und ihre Absicht war klar.
Töten!
Das wußten auch Suko und ich. Ohne daß wir uns gegenseitig zu verständigen brauchten, setzten wir noch mehr ein und zogen mit aller uns zur Verfügung stehenden Kraft.
Es ging um Sekunden.
Nur einer konnte Sieger sein.
Wir waren verloren!
Wie das weit aufgerissene Maul eines Haifisches, in das unfreiwillig eine
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