0241 - Der Pesthügel von Shanghai
dabei vor. Seine Lippen berührten die Perlen, bevor das Spiel wieder von vorn begann.
Ich hatte nicht die Muße, ihn zu fragen, denn jetzt galt es, weitere Gefahren zu bannen.
Die ersten Menschen trauten sich wieder aus den Häusern. Sie sahen die Bude mit dem eingestürzten Dach, wußten jedoch nicht genau, was geschehen war.
Quen erzählte nichts. Sie würden es früh genug erfahren.
Im gleichen Augenblick stürzten die Mauern ein. Sie fielen nach innen, und der Vergleich mit einem Kartenhaus kam mir in den Sinn. Unwillkürlich sprang ich zurück, obwohl nicht die Gefahr bestand, daß ich getroffen wurde.
Normalerweise erwartet man bei Hauseinstürzen ein Krachen.
Das war hier nicht der Fall. Zwar staubte es fürchterlich, doch die Mauern waren auf den weichen Untergrund gefallen, und der Sumpf, mit neuer Nahrung versorgt, begann zu schmatzen.
Er zog die Teile in seine dunkle, unergründliche Tiefe. Staunende und entsetzte Augen schauten zu. Wir aber, die wir ausgezogen waren, um das Grauen zu stoppen, durften unsere Blicke nicht mehr länger an dem Ort des Geschehens kleben lassen, sondern mußten etwas unternehmen.
»Jetzt zeigen Sie mal, was Sie können!« sagte ich zu Quen, der sich noch immer nicht rührte.
»Was soll denn geschehen?«
»Das werden wir sehen. Erst einmal müssen wir feststellen, wie weit sich der Sumpf bereits ausgebreitet hat und welch eine Strecke er nimmt. Mich wundert es, daß man unter der Straße nichts spürt.«
»Unter dem Lehm liegen zum Teil Steine«, sagte er.
»Woher wissen Sie das?«
»Man hat es mir berichtet.«
Suko dachte schon weiter. »Und wie verhält es sich mit dem Damm, der durch den Sumpf führt?«
»Da ist es ähnlich. Ein Teil Steine, dann wieder Lehm. Es wechselt sich ab.«
Nach diesen Worten stellten wir fest, wie der Sumpf nun eigentlich wanderte. Dabei fiel mir etwas sehr Seltsames auf. Das Dorf wurde nur an einer Seite vom Sumpf einbegrenzt. Zur anderen hin, nach Osten, begann hügeliges Gelände, und terrassenförmig angelegte Berge bauten sich auf.
Ich sah auf den Terrassenstufen sogar einige Hütten stehen, und der Gedanke, dorthin zu flüchten, kam mir automatisch.
Darüber sprach ich auch mit Quen.
Er nickte bedächtig. »Ja, das wäre eine Möglichkeit. Wir müßten das Dorf evakuieren.« Er schaute auf seine flache Uhr. »Und wann?«
»Wenn es geht, sofort. Kümmern Sie sich darum?«
»Sicher, ich mache das.« Er nickte seinem Begleiter zu, der sich wieder einigermaßen gefangen hatte und mit einem Tuch den Mund abwischte. Er war jetzt nicht mehr so blaß im Gesicht wie zuvor.
Trotzdem flackerte sein Blick weiterhin.
In chinesischer Sprache erhielt er die Anweisungen seines Chefs.
Obwohl wir nichts von alldem verstanden, begriffen wir, was er meinte, denn er unterstrich seine Worte mit zahlreichen Gesten und deutete auf die der Straße entlang aufgebauten Häuser.
Ich sah, daß die Aufgabe in guten Händen lag und lief Suko nach, der dort stehengeblieben war, wo die Straße endete und der alte Knüppeldamm begann.
Mein Partner war innerhalb der aus dem Sumpf steigenden braunen Dunstschwaden nur schemenhaft zu erkennen. Auch mir wurden diese Schwaden entgegengeweht, und ich hatte meine liebe Mühe und Not, immer rechtzeitig Luft zu holen, denn jedesmal preßte ich mein Taschentuch vor den Mund.
Neben Suko blieb ich stehen.
Der Inspektor warf einen kurzen Blick in mein angespanntes Gesicht und deutete dabei nach vorn. »Da ist er«, sagte er.
Er meinte damit den Sumpf.
Soweit das Auge reichte, sah ich nur die verdammte braune Fläche. Sie erinnerte mich an einen dunklen, aus Torf bestehenden See, der aber nie ruhig war, sondern sich bewegte.
»Laß uns auf den Damm gehen«, schlug ich vor.
Es waren nur ein paar Schritte, dann hatten wir die dicht nebeneinander gelegten Holzbohlen erreicht.
Dort blieben wir erst einmal stehen. Wir achteten jetzt nicht so sehr auf den Sumpf, sondern schauten nach, welche Zerstörungen er bereits angerichtet hatte.
Quen hatte von der Seidenraupen-Kultur gesprochen. Diese Züchtungen waren in mehreren barackenähnlichen Bauten untergebracht worden. Von den Häusern gab es nur noch Trümmer. Der wandernde Sumpf hatte dafür gesorgt. Und er bewies uns weiterhin, wie gierig er war, denn er saugte die einzelnen Teile in sich auf. Dabei erinnerte er mich an einen Schlund, der einfach unersättlich ist.
Plötzlich spürten wir das Vibrieren unter unseren Füßen. Es war nur ein kurzes Zucken, das
Weitere Kostenlose Bücher