0243 - Der Henker kam mit 13 Briefen
Hörer weg wie ein heißes Eisen und schwang sich aus den Federn.
Allmählich wachte auch seine Frau auf.
»Fiorentino, wo gehst du so früh hin?«, fragte sie verschlafen, aber dennoch mit dem scharfen, misstrauischen Unterton einer stets griesgrämigen Matrone.
Sullo kam ins Stottern: »Ich muss… ich soll… Das Hospital hat angerufen. Anscheinend eine lebensgefährliche Komplikation. Ich muss sofort operieren!«
»Santa Madonna! Schlaf doch in Zukunft gleich im Hospital!«
So schnell war Sullo noch nie in seine Kleider gekommen. In seinem Privatzimmer raffte er eilig einige Instrumente zusammen, verstaute sie in der Arzttasche und stürmte aus dem Haus mit einem Tempo, das man dem beleibten Fünfzigjährigen nicht zugetraut hätte.
Sullo stürzte sich förmlich in seinen Buick und raste die Fünfte Avenue entlang zu der angegebenen Stelle. Sullo stieg aus und sah sich suchend um. Zu dieser frühen Stunde waren nur vereinzelte Autos unterwegs. Nichts deutete darauf hin, dass hier ein Unfall passiert war. Der Professor dachte schon daran, dass sich jemand einen schlechten Scherz mit ihm erlaubt habe.
Plötzlich traten zwei Männer aus dem Gebüsch des Central Parks. Ehe Sullo sich versah, hatten die beiden Gestalten sich bedrohlich dicht neben ihm aufgebaut.
»Professor Sullo?«, fragte der eine, der einem Knochengestell in Kleidern glich.
Der Chirurg nickte verstört.
»Steigen Sie in Ihren Wagen. Aber hinten! Ich fahre Sie hin!«, befahl der Totenkopf mit knarrender Stimme.
Der Arzt versuchte zu protestieren: »Aber…«
»Kein Aber!«, herrschte ihn der Unheimliche an.
Sullo fühlte sich in den Wagen gedrängt und auf den Sitz gedrückt. Augenblicke später wurde ihm sein Hut über die Ohren gezogen, sodass er nichts mehr sehen konnte.
Die knarrende Stimme meldete sich wieder: »Tun Sie ganz genau, was ich Ihnen sage! Das, was ich jetzt gegen Ihre Rippen drücke, ist eine Pistole. Das Ding geht sofort los, wenn Sie Mätzchen machen. Lehnen Sie sich jetzt zurück und tun Sie so, als ob Sie schlafen würden!«
Sullo gehorchte. Der Druck der Pistolenmündung erstickte jeden Widerspruch im Keim. Anscheinend ging hier eine Art Kidnapping über die Bühne. Obwohl er, Sullo, dabei die wenig beneidenswerte Hauptrolle spielte, fühlte er sich eher erleichtert. Er hatte mit viel Schlimmeren gerechnet.
Der Buick rauschte ab und kreuzte scheinbar ziellos durch die City. Nach ungefähr einer Viertelstunde Fahrt kurvte der Wagen in irgendeinen Hof 24 und hielt an. Sullo wurde aus dem Auto gezerrt, in ein Gebäude geführt und zwei Treppen hochgeschoben. Nach einem Marsch durch einen längeren Korridor stießen ihn die beiden Männer in ein Zimmer. Erst jetzt wurde ihm der Hut von den Augen genommen.
Sullo befand sich in einem feudal eingerichteten Raum. Auf einer niedrigen Couch lag ein Mann, der einen blutdurchtränkten Verband um den linken Oberarm trug. Sein Gesicht war leichenblass. Auf der Stirn perlten große Schweißtropfen.
Der pockennarbige Ganove stellte die Arzttasche auf den Tisch und befahl: »Los, Doc, machen Sie sich an die Arbeit!«
Schweigend entfernte Sullo den Verband. Natürlich erkannte er sofort, mit welcher Art von Verletzung er es zu tun hatte. Gleichzeitig dämmerte ihm, in welche höllische Situation er geraten war. Gewöhnlich pflegten die Gangster einen Arzt, der unter solch mysteriösen Umständen eine Schusswunde hatte behandeln müssen, kurzerhand umzubringen, um die Möglichkeit eines Verrats auszuschalten.
Sullo peilte unauffällig zur Tür. Dort hatte das Knochengerippe sich breitbeinig auf gestellt. Mit ausdruckslosem Gesicht verfolgte der Gauner jede Bewegung des Arztes.
Auf Sullos blankem Schädel erschienen noch dickere Schweißtropfen als im Gesicht des Verletzten.
»Sullo, keine Müdigkeit vorschützen. Halten Sie sich ’ran!«, forderte der Verletzte mit matter Stimme. »Benutzen Sie aber bloß keine Narkotika. Wenn ich das Bewusstsein verliere, geht es ihnen dreckig!«
Der Professor packte seine Instrumente aus und versorgte die Wunde mit gewohnter Routine. Als der neue Verband kunstgerecht saß, verlangte Snyder noch je eine schmerzstillende und eine aufpulvernde Spritze.
Anschließend richtete Snyder sich zum Sitzen auf. Über sein Gesicht ging ein maskenhaftes Grinsen.
»Na, Professor, jetzt möchten Sie wohl gehen, nicht wahr? Zuvor müssen wir aber noch eine Kleinigkeit erledigen.«
Sullo stammelte völlig aufgelöst.
»Das… das… können Sie…
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