0243 - Der Henker kam mit 13 Briefen
Tynes, ein im Postdienst schon ergrauter Mann, wollte den Eindringling scharf zurechtweisen, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken.
Er sah sich plötzlich einem schweren Colt gegenüber.
Die ungebetene Fahrgast zog mit der Linken die Tür hinter sich zu, während die Waffe in seiner Rechten abwechselnd auf Tynes und Rockwell zeigte. Dabei brüllte der Gangster: »Pfoten hoch! In die Ecke alle beide, Gesicht zur Wand. Versucht keine Tricks, ich schieße sofort!«
Tynes hatte eine hübsche Frau und drei noch hübschere Kinder zu Hause, Rockwell war verlobt und erwartete noch einiges vom Leben. Verständlich, dass sie die aufkommende Regung, sich auf den Verbrecher zu werfen, unterdrückten. Dies wäre auch nicht mehr Mut, sondern schon glatter Wahnsinn gewesen. Zähneknirschend gehorchten sie dem Befehl.
Der Fahrer hatte von alledem nichts bemerkt und lenkte seinen Wagen aus dem Hof, um die vorgeschriebene Route einzuschlagen. Er kannte den Weg im Schlaf: West-Broadway-Varick Street - Siebte Avenue-Penn-Station. Insgesamt gute drei Meilen oder rund fünfzehn Minuten Fahrzeit bei dem starken Feierabendverkehr. Worth, der bewährte Fahrer, wusste noch nicht, dass aus der Viertelstunde eine Ewigkeit werden sollte, dass er nie ankommen würde.
Mike, niemand anderes war der falsche Postbote, huschte geschmeidig wie eine Katze vor zur Trennwand zwischen Fahrerkabine und Transportraum. Dabei achtete er sorgfältig darauf, dass er nicht in die Reichweite der beiden Beamten geriet und dass sein Colt unverwandt auf sie zeigte.
Blitzschnell zertrümmerte er mit dem Ellenbogen das Verbindungsfenster und schrie dem Fahrer zu: »Ich knalle deine beiden Kollegen augenblicklich nieder, wenn du dich nicht meinen Anordnungen fügst! Du hast jetzt folgenden Weg einzuschlagen: nach rechts in die Chamber Street, dann die Park Row entlang zur Bowery!«
Worth wusste Bescheid. Kaum eine andere Gegend in New York war so wie die verrufene Bowery dazu geeignet, das Postauto zu überfallen und mit der Beute unbehelligt zu entkommen. Worth war bestimmt kein Hasenfuß. Aber in der gegenwärtigen Situation half aller Mut nichts.
***
Tausend Erwägungen schossen durch seinen Kopf. Zum Beispiel dachte er daran, sein Fahrzeug brüsk in eine Kurve zu reißen und gegen eine Hauswand zu fahren. Höchstwahrscheinlich würde der Gangster bei diesem Manöver den Stand verlieren und machtlos im Wagen umhergeworfen werden. Was aber, wenn der Ganove sich mit der freien Hand festhielt und aktionsfähig blieb? Oder wollte er, Worth, wie verrückt am hellen Tag mit den Scheinwerfern blinken, um anzuzeigen, dass etwas nicht stimmte?
Aber alle hastig angestellten Überlegungen führten unausweichlich zu dem einen Schluss: Wenn er dem Befehl des Verbrechers nicht nachkam, waren seine beiden Kameraden verloren, und er mit. Die knarrende, brutale Stimme des Gangsters hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er seine Drohung augenblicklich in die Tat umsetzen würde.
Während der Wagen, wie befohlen, die Chamber Street entlangfuhr, schlitzte Mike die Postsäcke auf und stopfte wahllos Briefe in seine Umhängetasche. Selbstverständlich ließ der Gangster bei dieser Tätigkeit die beiden Beamten nicht aus den Augen und hielt seine Kanone unablässig auf sie gerichtet.
Nun war die große Ledertasche prall gefüllt. Der Gangster peilte aus den Augenwinkeln nach vorn auf die Straße. Obwohl das kleine Fenster kein großes Blickfeld freigab, erkannte Mike die Gegend: Der Postwagen überquerte, mehr oder weniger eingekeilt zwischen 40 anderen Autos, soeben den Chatham Square.
Das Folgende spielte sich buchstäblich in Gedankenschnelle ab. Der Gangster griff mit der Linken in ein Außenfach an der Umhängetasche, brachte eine Eierhandgranate zum Vorschein, riss mit den Zähnen die Zündkapsel ab und warf das zischende Höllending durch das zertrümmerte Fenster in die Fahrerkabine. Sekundenbruchteile später krachte die Detonation, gefolgt von einem gellenden Todesschrei.
Ein Ruck ging durch das Postauto. Es hatte, führerlos geworden, ein anderes Fahrzeug gerammt.
Aber der Gangster war noch nicht fertig. Das satanische Gehirn Snyders hatte eine weitere Teufelei vorgesehen, damit Mike nicht gleich verhaftet wurde, wenn er aus dem Postauto sprang.
Mike steckte den Colt weg, holte einen Molotow-Cocktail aus der Umhängetasche und zerschmetterte die Flasche mit der Brandmixtur am Boden.
Eine Stichflamme schoss hoch. Im gleichen Moment warf Mike sich mit
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