0244 - Der Seelen-Vampir
heben. »Keine Spur von den Biestern.«
»Damit habe ich gerechnet.«
Im Licht der Lampen fanden wir den Weg zurück. Abermals konfrontierte uns der Verwesungsgeruch. Innerhalb der untersten Höhle wurde es besonders schlimm. Die Totenhemden streifte ich mit einem Blick und schüttelte mich.
Suko schritt bereits die Treppe hoch. Die Lampe wies ihm den Weg. Der helle Strahl glitt über die Stufen, tanzte weiter, aber niemand ließ sich blicken.
Dieser geheimnisvolle Seelen-Vampir schwebte längst über dem Meer. So dachten wir damals.
Daß alles ganz anders kommen würde, wohin uns der Fall schließlich noch führen sollte und in welche Gefahren wir gerieten, das konnten wir zu dem Zeitpunkt nicht einmal ahnen.
Wir machten uns an den Aufstieg und dachten auch an die Bergung der Leiche. Der Pfarrer sollte auf alle Fälle ein ihm würdiges Begräbnis bekommen.
***
Vampiro-del-mar betrat den freien Teil des Decks. Innerlich kochte er, wenn man bei ihm überhaupt von Gefühlen sprechen konnte. Er war erregt, die Sucht nach Blut spülte wie eine gewaltige Welle hoch, und er würde es nicht mehr länger aushalten.
Ihm war egal, wie die Scott darüber dachte. Zudem konnte sie es sich nicht leisten, ihn mit Silberkugeln zu töten, schließlich waren sie aufeinander angewiesen.
Er sah die Särge!
Wohlgeordnet standen sie in einer Reihe. Es waren vier. Schwarz schillerten sie. In der Nähe brannte nur eine Leuchte. Sie hing an einem Pfahl und schaukelte bei jeder Bewegung des Schiffes auf und nieder. Oftmals spritzte die helle Gischt über Bord. Sie hatte auch einen feuchten Film auf die Särge gelegt, und das Licht der Lampe brach sich in zahlreichen Tropfen.
Vampiro-del-mar war nicht so trittsicher wie Lady X. Er hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu halten, stampfte breitbeinig über Deck und näherte sich den vier Särgen.
Davor blieb er stehen.
Damit die Totenkisten bei jedem starken Überholen des Kutters nicht umkippten, waren sie vertäut worden. Man hatte die starken Seile an den Griffen befestigt und die anderen Enden mit der Bordwand verbunden. So hielten sie.
Vampiro-del-mar stierte auf die Sargdeckel. In seinem verwüsteten Gesicht zuckte und arbeitete es. Er befand sich unter einem ungeheuren Druck, beugte sich vor und stützte zwei Pranken auf die feucht glänzenden schwarzen Deckel.
Sekundenlang verharrte er in dieser Haltung, und ein Stromstoß schien durch seinen Körper zu laufen, als er plötzlich etwas hörte.
Nein, das war nicht das Klatschen der Wellen gegen die Bordwand, das war ein anderes Geräusch.
Ein tiefes, unheimliches Stöhnen…
Und es war vor ihm erklungen, im Sarg!
Jetzt geriet die gewaltige Gestalt des Vampirs ins Zittern. Aus seinem Mund drangen fürchterliche Laute, die sich mehr nach einem Röcheln und Stöhnen anhörten, bei ihm jedoch eine Art von Triumphgebrüll sein sollten.
Einer der Toten lebte noch.
Und er hatte Blut.
Blut für ihn, damit er erstarkte!
Vampiro-del-mar stieß ein tiefes, grunzendes Lachen aus. Plötzlich war er besessen. Dieser Tarrasco hatte die Seele des Menschen an sich gerissen und sich gleichzeitig geirrt.
Der Mensch innerhalb der Totenkiste lebte. Deutlich war er zu hören, und Vampiro-del-mar geriet in eine Art Fieber. Er schaute zu, wie er den Deckel lösen konnte, sah auch die straff gespannten Seile und mußte sie erst lösen.
So stark diese Taue auch waren, seinen Kräften hatten sie sicherlich nichts entgegenzusetzen. Wenn der Uralt-Vampir einmal anfing, dann war er nicht zu stoppen, von keiner Macht der Welt, höchstens von einer geweihten Silberkugel.
Er fetzte das Seil in einer wahren Wut förmlich von den Sarggriffen und schleuderte das lose Ende weg. Mit den drei anderen Tauen verfuhr er ähnlich.
Die Bahn war frei!
Man hatte die Deckel nicht verschlossen, das wußte der Blutsauger genau. Seine Pranken fuhren über das feuchte Holz, er fühlte nach den Griffen, ertastete die Verschlüsse, öffnete sie und konnte nun den schweren Deckel anheben.
Für ihn eine Kleinigkeit.
Seine Hände griffen zu, und er wuchtete den Deckel mit einem einzigen Griff nach oben.
Jetzt lag die »Leiche« frei!
Selbst dieses Untier zitterte vor Spannung. War es eine Leiche, war es keine? Hatte er sich getäuscht?
Er stierte mit seinen glasartigen Augen in den Sarg.
Dort lag eine Frau.
Eigentlich noch ein Mädchen.
Blaß, bleich. Mit fahl wirkenden Haaren, die sich zu beiden Seiten des Kopfes ausgebreitet hatten. Das Gesicht sah seltsam
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