0244 - Der Seelen-Vampir
letzten halben Stunde schien er um Jahre gealtert zu sein. Das Gesicht war eingefallen, über den Wangenknochen spannte sich die Haut, die Lippen zuckten, und das dunkle Haar hing ihm in die Stirn. Er war wesentlich kleiner als ich und mußte zu mir hochschauen, wenn ich mit ihm redete.
»Können wir uns hier ungestört unterhalten?« erkundigte ich mich bei ihm.
»Ja, wir gehen zu mir. Meine Frau ist zu ihrer Schwester gefahren. Die Kinder sind aus dem Haus. Bei mir hört uns keiner.«
»Das ist gut.«
Sein Haus lag nicht weit entfernt. Es war ein schmaler Backsteinbau, dafür jedoch zwei Etagen hoch. Die Fassade selbst war kaum zu sehen, weil wild wachsender Wein und Efeu daran hochrankten.
Vor dem Haus brannte eine alte Laterne. Ihr Schein schimmerte milchig in der Dunkelheit.
Der Bürgermeister führte uns in sein Arbeitszimmer, das sich an ein Wartezimmer anschloß.
Ein Rathaus gab es in South Trebone wohl nicht. Alle anfallenden Arbeiten erledigte der Mann von diesem Platz aus.
William Biggle bot uns Plätze an. Wir nahmen in den hochlehnigen Ledersesseln Platz und schauten uns um.
Der Bürgermeister zog seine braune Cordjacke aus und verließ mit einer gemurmelten Entschuldigung den Raum. Das Zimmer war gemütlich eingerichtet. Wir saßen in der Sesselgruppe, es gab den alten dunklen Holzschreibtisch, Regale, die so wuchtig waren, daß die glatten Aktenschränke kaum auffielen.
Die Deckenlampe brannte nicht, sondern nur die Stehlampe, wo wir saßen. Das Licht spendete eine gewisse Wärme und besaß auch einen gemütlichen Touch. Man konnte sich in dem Zimmer wohl fühlen. Dazu trugen auch die kleinen Fenster mit den geteilten Scheiben bei. Von den Windgeräuschen vernahmen wir nichts, weil die dicken Mauern sie dämpften. Wärme strahlte ein grüner Kachelofen aus. Er stand uns gegenüber, war ein gewaltiger Klotz und schien schon einige Jahre auf dem Buckel zu haben.
Wir hörten Schritte, Biggle kam zurück. Er trug ein Tablett. Darauf standen drei Gläser und eine bauchige Flasche. »Es ist ein guter Whisky«, sagte der Bürgermeister, bevor er die Dinge auf dem kleinen Tisch abstellte. »Sie sollten ihn probieren. Malzwhisky.«
»Mal zu«, sagte ich.
Auch Suko nahm einen kleinen Schluck. Ich verzog anerkennend den Mund. »Ja, das Getränk ist tatsächlich gut«, lobte ich, auch Suko nickte höflichkeitshalber, er machte sich jedoch nichts aus Alkohol.
»Ich bekomme die Fäßchen immer aus Schottland geschickt. Dort wohnt ein Freund von mir.«
Ich stellte das Glas ab. Leider waren wir nicht gekommen, um gemütlich am Kachelofen zu plaudern, uns hatten andere, schreckliche Dinge zu William Biggle geführt. Darüber wollten wir mit dem Bürgermeister reden.
»Mr. Biggle«, sagte ich, »Sie wissen selbst, welcher Grund uns zu Ihnen geführt hat, und wir möchten gern von Ihnen Näheres erfahren. Der Pfarrer kann uns nun nicht mehr helfen.«
»Leider.«
»Was wissen Sie über den Seelensauger?« fragte ich direkt.
Biggle hob den Kopf, blickte uns an und schaute danach auf seine Hände, die er nebeneinander gelegt hatte. »Es ist eine schlimme Geschichte«, murmelte er, »ich sage bewußt nicht Legende, denn dieser Begriff scheint ja überholt zu sein.«
»Es sind Verbrechen passiert, nicht«, stellte mein Freund und Kollege fest.
»Ja. Zuletzt der Pfarrer.«
»Und zuvor?«
William Biggle schaute meinen Partner an. »Vier Menschen, Sir. Alle aus der Umgebung von South Trebone. Zwei Frauen und zwei Männer…«
»Hat sie der Seelensauger geholt?« schaltete ich mich ein.
»Man muß davon ausgehen.«
Der Bürgermeister zeigte sich für meinen Geschmack ein wenig verschlossen. Ich wollte, daß er mehr redete und sagte ihm dies auch. »Mr. Biggle, wir kommen nicht weiter, wenn Sie sich verschlossen wie eine Auster zeigen. Mein Kollege und ich sind nicht aus Spaß hier in Cornwall, es geht schon um den Seelensauger oder Seelen-Vampir. Der Pfarrer hat uns informiert.«
»Es ist ja nichts bewiesen!«
Ich schüttelte den Kopf. »Da irren Sie sich, Mr. Biggle. Mein Kollege und ich haben Spuren des Seelen-Vampirs gesehen. Sie kennen sicherlich die alte Höhle an der Steilwand.«
»Ja und nein. Wir waren nie dort. Da geht man nicht hin«, erklärte der Bürgermeister.
»Weshalb?«
»Es ist zu gefährlich.«
Ich winkte ab. »Wie dem auch sei, Mr. Biggle, wir waren da, sind in die Höhlen gestiegen und haben dort einige Entdeckungen gemacht. Nicht nur, daß es nach verwesenden Leichen gerochen
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