0248 - Auf dünnen Seilen tanzt der Tod
Schläger. Der Hieb mit der Handkante ging mir selbst durch alle Muskelfasern meines Körpers. Der Getroffene brach in die Knie wie vom Blitz gefällt.
Aber in der nächsten Sekunde waren sie über mir. Arbeiter und Stallburschen von einem Zirkus. Jeder Einzelne von ihnen ein Mann, der Arbeit gewöhnt war. Ich schlug um mich, probierte meine Jiu-Jitsu-Kenntnisse, die sich das FBI jede Woche zwei Trainingsstunden kosten lässt, konnte aber in der Dunkelheit nichts mit ihnen anfangen, weil ich meinen Gegner nicht sehen konnte - und wurde in verhältnismäßig kurzer Zeit geschafft.
Nach längerer Zeit spürte ich, dass mir eiskalt war. Ich versuchte es ein paarmal mit den Augen, aber anfangs schloss ich sie schnell wieder, weil mich das wahnsinnig schnell drehende Karussell in eine ekelhafte Übelkeit versetzte. Als sich das Schaukeln in meinem Körper langsam beruhigt hatte, sah ich endlich, dass der Morgen graute. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Sonne aufging.
Vor mir lag ein Mann. Sein Gesicht war angeschwollen und grün, blau, rot und violett verfärbt.
»Na, Jerry…«, gurgelte er.
Die Stimme war zur Hälfte noch seine eigene. Es war Jack Miller. Er stöhnte und stemmte sich bis auf die Ellenbogen hoch. Er räusperte sich vorsichtig.
Irgendwo sang eine Lerche. Ich hörte es, während ich überlegte, ob ich dem Drängen in meinem Magen nachgehen sollte.
»Und das alles für ein Beamtengehalt«, brummte Jack.
***
Captain Blaine konnte eine Ausdauer entwickeln, die allen Untergebenen unheimlich war. Seit vier Stunden hockte er nun schon pausenlos aui dem Klappstuhl, den er sich mitten in der Manege hatte aufstellen lassen. An zwei schnell hereingebrachten Tischen saß je ein Polizeistenograf, die sich abwechselnd in die Aufgabe teilten, jedes gesprochene Wort festzuhalten. Sie hatten ein Dutzend Bleistifte vor sich liegen und verbrachten die Pausen damit, ihren Vorrat wieder anzuspitzen.
Im Augenblick beschäftigte sich Blaine mit einem der Manege-Arbeiter. Es war ein Hüne von einem Mann mit dem nichtssagenden Gesichtsausdruck eines Alltagsmenschen.
»Wie groß sind Sie?«, fragte Blaine. »Über zwei Meter?«
»Ja, Sir. Zwo vier.«
»Zwei Meter und vier«, staunte Blaine kopfschüttelnd. »Und wie viel wiegen Sie?«
»Zweihundertachtzig, Sir.«
Blaine staunte abermals. Er drehte sich um und rief dem Stenografen zu:
»Das kommt natürlich nicht ins Protokoll.«
Die beiden Stenografen nickten, und der Mann, der gerade geschrieben hatte, strich zwei Zeilen aus: Blaine wandte sich wieder dem Riesen zu. Der Mann hielt den Kopf schräg und konnte anscheinend den Hals nicht bewegen.
»Haben Sie sich am Hals verletzt?«, fragte Blaine mitfühlend.
Der Mann wurde verlegen. Er suchte offensichtlich nach Worten, bis ihm die laue Erklärung einfiel, er hätte sich wohl erkältet. Geschwitzt und in Zugluft geraten. Blaine sah ihn mitleidig an.
»Seien Sie sehr vorsichtig mit so etwas«, riet er. »Sie sollten einen Schal um den Hals binden.«
»Ja, Sir«, murmelte der Mann.
»Ich will Sie nicht länger aufhalten. Oder haben Sie irgendetwas beobachtet, was mit dem Mord Zusammenhängen könnte?«
»Nein, Sir.«
»Das dachte ich mir. Ich will Sie nicht kränken, aber in diesem Zirkus scheint es so zu sein, dass niemand je etwas beobachtet. Gut, vielen Dank.«
Der Arbeiter entfernte sich, wobei er mit schmerzlich verzogenem Gesicht seinen Hals massierte. Blaine beugte sich über seine Notizen. Er kam ohne eine Unmenge von Zetteln nicht aus, und er musste diese Zettel immer wieder lesen, neu ordnen, durcheinander schieben und wieder in eine andere Reihenfolge bringen. Wer ihn dabei beobachtete, bekam unwillkürlich das Gefühl, er spiele nur mit den Papierstücken, während seine Gedanken in Wahrheit bei einer ganz anderen Sache waren.
»Stewy«, brummte Blaine nach einer Weile.
Einer von den Detectives der Mordkommission kam eilig heran.
»Ja, Sir?«
»Wer ist jetzt dran?«
»Eine Indianerin, Chef. Uralt und noch älter. Wie sich ihr Name ausspricht, weiß ich nicht. Vielleicht ist es auch gar nicht ihr richtiger Name. Im Programm steht sie mit Nscho-Tete, die ›Mutter der Weisheit‹. Ich finde, wir hätten sie gleich am Anfang verhören sollen. Wenn sie so gescheit ist, soll sie uns doch mal eben verraten, wer der Mörder ist.«
Stewy hatte den Namen der Indianerin nicht vorgelesen, sondern buchstabiert. Blaine hatte die einzelnen Lettern in großen Blockbuchstaben auf einen neuen
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