0248 - Auf dünnen Seilen tanzt der Tod
Selbstsicherheit, um die man Sie beneiden kann. Na ja, lassen wir das… Ich habe Tec-Man White gesehen. Gestern Abend. Eine Stunde oder anderthalb vor dem Mord. Und wissen Sie, wo?«
»Keine Ahnung, Chef«, sagte ich. Aber ich spürte dabei, wie sich alles in mir spannte.
»Im Wohnwagen der Marsari«, murmelte Jones. »Und wissen Sie, was White gerade schrie, als ich an dem Wagen vorüberkam?«
»Na?«
»Er schrie die Marsari an, er würde sie umbringen, wenn sie irgendwas täte. Ich weiß nicht, was. Ich habe mich auch nicht darum gekümmert. Was geht es mich an, was White mit der Marsari hat? Wenn ich gewusst hätte, wie alles kam, wäre ich natürlich stehen geblieben und hätte gelauscht. Aber das habe ich deutlich gehört, dass er drohte, er würde sie umbringen…«
»Werden Sie das sagen? Bei der Vernehmung?«
Jones schüttelte den Kopf.
»No, ich verpfeife niemand von uns. Wenn er’s war, sollen’s die Cops herausfinden, dafür werden sie schließlich bezahlt. Mich geht es nichts an.«
Ich war anderer Meinung. Nicht weil ich selbst ein G-man bin. Aber in diesem Augenblick wollte ich nicht mit ihm darüber sprechen. Außerdem kannte ich diesen Standpunkt, seit ich das erste Mal meine Dienstmarke vorwies. Viele Leute glauben, sie dürften der Polizei aus diesem oder jenem Grunde nicht helfen. Mit der Zeit gewöhnt man sich auch an diese bornierte Einstellung.
»Ich werde mich mal rein zufällig dahin begeben, wo Tec-Man White gerade ist«, sagte ich mit einem doppeldeutigen Lächeln. »Mal sehen, was er für einen Eindruck macht.«
»O ja, Kenton. Erzählen Sie’s mir später, ja? Es würde mich interessieren, was Sie von ihm halten.«
»Okay, Chef, Bis nachher.«
Ich winkte einen Gruß und verließ den Wohnwagen. Seit das nun gestern Abend passiert war, hatte ich Phil schon ein Dutzend Mal heimlich getroffen, um ihm diesen oder jenen Tipp weiterzumelden, den ich bei diesen oder jenen Leuten aufgeschnappt hatte. Die Artisten sprachen weiter, wenn ich zu ihnen trat. Ich gehörte jetzt zu ihnen .Anders war es, wenn Phil in ihre Nähe kam, dann brachen sie ihre Unterhaltung ab und wandten sich einem anderen Thema zu. Allein aus diesem Grunde schon hatte sich die übliche FBI-Methode, G-man getarnt auf treten zu lassen, bewährt. Sicher hatte auch Jack Miller, der seine Rolle bei den Stallburschen und Arbeitern spielte, schon manches Interessante an Phil gemeldet.
Mir war gerade dieser Gedanke gekommen, als ich ein charakteristisches Geräusch hörte. Ein Geräusch, das ich in den Slums von New York und im Hafenviertel am East River schon mehr als einmal gehört hatte. Jenes dumpfe Klatschen, das laut wird, wenn jemand auf einen Körper einschlägt.
Ich blieb stehen und lauschte.
Das Klatschen kam hinter der Reihe von Zugmaschinen hervor, die schnurgerade ausgerichtet vor dem hinteren Zelt standen. Ich duckte mich unwillkürlich, zog meine Taschenlampe und schlich mich vorwärts. Als ich die Reihe der Zugmaschinen umrundet hatte, hörte ich ein halb unterdrücktes Stöhnen ganz in der Nähe. Und jemand rief leise:
»Los, nehmt ihn euch vor, diesen elenden Achtgroschenjungen. Nehmt ihn euch vor, dass ihm die Lust vergeht, jedes Wort von uns an die Polizei weiterzutratschen. Los, Jungs.«
Mir kam ein erschreckender Verdacht. Ich richtete mich auf und knipste die Taschenlampe an.
***
Sie hielten Jack Miller mit vier Mann fest. Ein Gebirge von einem Mann stand vor ihm und holte aus. Mit einem Stück Hartgummi, einem Bleirohr oder was Ähnlichem. Ich sah Jacks verzerrtes Gesicht über dem Knebel, den sie ihm umgebunden hatten, damit er nicht schreien konnte. In meiner Kehle machte sich ein Kloß breit, der mir das Atmen erschwerte.
Ich hätte jedem anderen geholfen. Aber dies war nicht einmal jeder andere. Dies war Jack Miller. G-man wie ich. Dicht am Hudson River hatte er mir vor einer Reihe von Monaten zwei chinesische Matrosen vom Hals gehalten, die Opium schmuggelten und mir eins von diesen elenden Schnappmessern in die Hüften gerannt hatten. Jack hatte nicht eine Sekunde gezögert, und als ich die Taschenlampe einfach fallen ließ, spürte ich oder bildete es mir nur ein, dass meine Hüfte genau an der Stellte schmerzte und brannte, wo seinerzeit das Messer saß. Ich sprang vor und hatte die Entfernung im Licht der Lampe richtig eingeschätzt. Meine rechte Hand streckte sich wie ein Lineal. Sie zuckte empor, und mein ganzes Körpergewicht, meine Kraft und der Schwung vom Ausholen traf den
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