0248 - Gatanos Galgenhand
wollte sie sagen? Uns warnen vielleicht? Befand sich der Henker auf ihren Fersen? Wurde sie von einem Geist verfolgt, der sie ebenfalls zerstören wollte?
Ein pfeifendes Geräusch drang aus dem Mund der Wahrsagerin. Sie stand unter einem ungeheuer starken Druck. Es mußte sie viel Kraft kosten, die Verbindung aufrecht zuhalten.
Wieder formte der Mund lautlose Worte. Abermals mußte ich mich anstrengen, um etwas verstehen zu können. Es klappte nicht, denn sie formulierte ganze Sätze.
Mein Gott, wenn ich doch…
Da sah ich den Schatten.
Auch er befand sich innerhalb des Spiegels, und er tauchte gefährlich und drohend hinter der schwebenden Frau auf. Eine graue, düstere Wand, unheimlich anzusehen, eine Bedrohung für sie.
Auch Lucille mußte bemerkt haben, daß sich hinter ihr etwas tat. Sie drehte den Kopf und ich erkannte an ihren wilden Bewegungen, daß sie Angst hatte.
Da löste sich die Wolke auf.
Es war ein seltsamer Vorgang, denn sie geriet zuerst einmal in Wallung, wurde im Zentrum schwächer und gleichzeitig blasser.
Ich konnte hindurchschauen und sah jetzt erst, was die Wolke verdeckt hatte.
Es war der Unheimliche, der Henker.
Und er besaß die Schlinge. Umklammert aber wurde sie von einer großen, häßlichen, giftgrünen Galgenhand…
***
Damit hatte ich nicht gerechnet. Nach wie vor war ich der Überzeugung gewesen, es mit einem Geist zu tun zu haben, doch daß er sich innerhalb des Spiegels materialisierte, war eine schlimme Überraschung.
Die Hand stach mir zuerst ins Auge. Sie war widerlich, schimmerte grün, als wäre sie mit der dünnen Haut einer Echse überdeckt worden. Die Finger zeigten sich gespreizt. Sehr lange Nägel saßen auf den Kuppen.
Die Nägel schimmerten ebenfalls in einer grünen Farbe.
Dahinter sah ich den Henker selbst. Oder vielmehr sein Gesicht. Es war eine Visage des Schreckens, von einem graugrünen Farbton die Haut, falls man überhaupt noch von einer Haut sprechen konnte, so wie er aussah. Mich erinnerte sie vielmehr an Papier, in das man Löcher geschnitten hatte, damit die Sinnesorgane entstehen konnten.
Die Hand war wichtiger.
Obwohl die Finger auseinandergebogen waren, hielten sie dennoch die Schlinge. Sie hatte sich zwischen zwei dieser dolchartigen Dinger festgehakt und pendelte jetzt, als sich die Hand bewegte. Es war ein schauriges Bild, das wir ansehen mußten, denn die Schlinge wuchs nicht nur von Sekunde zu Sekunde, sondern kam der Frau auch immer näher.
Ihre Absicht stand fest.
Lucille sollte erwürgt werden.
Ein grausames Spiel, was schon einmal in Szene gesetzt worden war, würde sich innerhalb des Spiegels wiederholen. Vielleicht für immer, oder nur für eine gewisse Zeit war die Frau namens Lucille dann verschwunden.
Das konnte ich nicht zulassen.
Sie sollte und mußte uns noch Informationen geben. Aber wie konnte ich ihr helfen?
Ich sah den gequälten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Deutlich war die Angst darin zu lesen. Lucille traute sich nicht, den, Kopf zu wenden.
Ihren unheimlichen Mörder wollte sie nicht noch einmal anschauen, aber der immer mehr wachsende Schatten der gefährlichen Schlinge war nicht aufzuhalten.
Er würde auch sie erreichen.
Und er war schnell.
Diese Szene im Spiegel fesselte mich. Ich schaute in einen langen, hellen Tunnel, und ich mußte mit ansehen, wie sich das Gesicht der Lucille bewegte.
Sie öffnete den Mund und formte ein Wort.
HELP!
Immer nur dieses. Die Angst vor ihrem Peiniger steigerte sich, je näher ihr die Schlinge kam. Jetzt schwebte sie bereits über ihrem Kopf, senkte sich und wollte die chancenlos Fliehende vom Leben in den Tod befördern.
Das konnte ich nicht zulassen.
Ich sprang auf den Spiegel zu, holte weit aus, behielt aber die kleine Kette fest und schleuderte das Kreuz…
***
Judy Jackson for ever!
Immer nur Judy. So lauteten die neuen Slogans, die sich Manager ausgesucht hatten. In harter Gemeinschaftsarbeit mit den Werbeagenturen war es ihnen gelungen, das Bild eines Stars aufzubauen, der so richtig in die Rezessionslandschaft der Staaten hineinpaßte.
Vom Mädchen aus den Prärien Dakotas an den Broadway. Natürlich hieß sie nicht Judy Jackson, aber Norma Bellpuig war ein Name, den man vielleicht in Dakota behalten konnte, am Broadway allerdings nicht.
Da mußte man den Leuten etwas Zugkräftigeres vorsetzen.
Judy Jackson konnte jeder behalten, ebenso wie E. T. oder den Namen des Kinderstars Annie.
Und Judy begab sich völlig in die Hände ihrer Manager und Macher.
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