0248 - Gatanos Galgenhand
Das ganze Leben besteht aus Kompromissen, wenigstens das Leben, das du führst. In Dakota sieht das anders aus, aber wir sind nicht in der Prärie, sondern im Dschungel. Und zwar im Dschungel der Großstadt.«
»Das habe ich bemerkt. Menschlichkeit zählt nicht.«
»Dafür aber das Geschäft. Ich wollte, ich würde die Dollars bekommen, die man dir in die Hand drückt.«
»Am Hungertuch nagst du auch nicht gerade.«
»Davon habe ich auch nichts gesagt.« Er schaute auf seine Uhr.
»Wieviel Zeit haben wir noch?«
»Eigentlich müßten wir jetzt los.«
»Dann schwingen wir die Hufe.«
»Nehmen wir deinen Wagen?«
»Nein, wir lassen uns fahren. Es gibt ja genügend Taxis.« Bernie schwang seinen Schal lässig um den Hals. »Ich gehe schon mal nach unten und lasse einen Wagen kommen.«
»Ist gut.«
Judy verschwand noch im Bad. Sie schaute sich im Spiegel an, prüfte ihr Gesicht, dessen Haut noch glatt war und keine einzige Falte zeigte.
Trotz der Schminke hatte es immer noch die Frische bewahrt. Das Leben in Dakota ließ sich eben nicht so leicht vernichten.
Sie schloß die Augen und stellte sich vor, wieder bei ihren Eltern zu sein, vor dem Haus zu sitzen und in die allmählich sinkende Sonne zu schauen. Die meisten ihrer jetzigen Bekannten hätten darüber gelacht und kein Verständnis gezeigt, doch Judy gab diese Erinnerung an Zuhause viel.
Wenn dieses eine Musical vorbei war, wollte sie Pause machen und sich nicht sofort wieder in einen zweiten Vertrag zwängen lassen. Vier Wochen in Dakota, das wäre etwas. Für immer konnte sie dort nicht mehr leben. Die Großstadt hielt sie bereits in ihrem Bann.
Das Telefon läutete. Sie verließ das Zimmer nicht, sondern stäubte weiterhin Puder auf die Wangen. Es war klar, daß Bernie aus der Halle anrief. Sollte er.
Vier Minuten später griff sie zu ihrem weißen Fellmantel und streifte ihn über die weit geschnittene, knallgrüne Bluse mit den roten Lederstreifen.
Das Modell eines italienischen Modezaren. Horrend im Preis, aber sie hatte es umsonst bekommen. Dazu trug sie hautenge Lederjeans, ebenfalls in der roten Streifenfarbe des Pullovers. Die Stiefel bestanden aus weichem Material und endeten an den Waden, wo sie noch einmal umgeschlagen waren.
Topmodern nannte man das. Aber so etwas gehörte zum Image. Sie mußte die Kleidung tragen.
Bernie war tatsächlich schon ungeduldig. Er rannte in der Halle auf und ab. Dabei redete er mit zwei Reportern. Sie sprachen heftig aufeinander ein. Die Pressefritzen ließen nicht locker und wandten sich erst um, als Judy den Lift verlassen hatte.
Schon blitzten die ersten hellen Lichter. Judy hatte gewohnheitsmäßig ihr Lächeln angeknipst, darauf war sie trainiert worden.
Bernie eilte auf sie zu. »Keine Interviews jetzt, wir haben es eilig.«
»Judy, ein paar Worte nur.«
»Nein, bitte nicht! Wir müssen zu einem Empfang.«
»Auf dem Weg zum Wagen«, schlug der zweite Reporter vor. »Das geht schnell.«
»Sie haben doch gehört, was Miß Jackson sagte«, erklärte ihr ständiger Begleiter. »Jetzt nicht!« Mit heftigen Armbewegungen scheuchte er die Reporter davon.
Der Wagen wartete bereits. Das Hotel beschäftigte zwar keine eigenen Fahrer, aber man wußte, wo man schnell ein Yellow Cab herbekam.
Judy und ihr Begleiter setzten sich in den Fond. Der Fahrer strahlte.
Natürlich kannte er diese Frau, die allmählich zu einem Star hochgejubelt wurde, und er war stolz darauf, sie fahren zu dürfen. Etwa fünf Monate hatte der Mann den Job inne, und er freute sich über jeden prominenten Fahrgast. Im Gegensatz zu seinen älteren Kollegen, die so etwas kaum zur Kenntnis nahmen. In New York vergaß und gewöhnte man sich schnell an gewisse Dinge.
»Wie lange wirst du brauchen?« fragte Bernie.
»Dränge mich nicht jetzt schon. Das liegt nicht an mir, sondern an Madame Tanith.«
»Ach, so nennt die Tante sich.«
»Ja. Sie stammt aus Paris.«
»Auch das noch.«
»Wieso?«
»Ich kann mir vorstellen, daß, wenn sich so etwas herumgesprochen hat, mehr Kunden kommen. Du bist doch nicht immer zu ihr hingegangen.«
»Nein, sie ist neu, aber bekannt in der Branche.«
»Und weshalb hast du gewechselt?«
»Die Vorgängerin ist gestorben.«
Da lachte Bernie. »Die hat bestimmt ein Geist geholt, was?«
»Darüber sollte man sich nicht lustig machen«, sprach Judy Jackson dagegen. »Ihr Tod ist tatsächlich ein Rätsel. Man munkelt, daß sie ermordet wurde.«
»Doch der Geist.«
»Ach, laß mich in Ruhe!«
Bernie
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