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025 - Die Treppe ins Jenseits

025 - Die Treppe ins Jenseits

Titel: 025 - Die Treppe ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Brent
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Negligé an dem Haken neben der
Tür greifen, doch die Stimme aus der Düsternis lenkte sie ab.
    »Komm, Janett, komm!«
    Merkwürdig! Irgendetwas in ihrer Erinnerung sagte ihr, dass die Gestalt,
die sie jetzt wieder sah, sie an eine bestimmte Person erinnerte.
    An den Vater?
    Der Vater?
    Ihre Stirn legte sich in Falten. Sie dachte nach. Eve hatte gesagt, dass
Vater tot sei. Sie wusste, was sich mit diesem Begriff verband. Tot, das
bedeutete, dass etwas nicht wiederkam.
    Aber wieso stand dann der Vater vor ihrem Fenster?
    Das hatte er oft getan, früher, als sie noch kleiner war.
    Sie erinnerte sich daran. Sie war dann immer zu ihm gekommen – und er hatte
sie aus dem Fenster gehoben. Später, als sie größer war, hatte sie selbst aus
dem Fenster steigen können. Von der Fensterbank bis hinunter auf den Boden
waren es nur gut dreißig Zentimeter. Dann war eine lange Zeit gekommen, wo man
ein Gitter vor ihrem Fenster aufgebaut hatte, um zu verhindern, dass sie
unbemerkt aus dem Fenster stieg und sich zu nachtschlafender Zeit auf dem
Grundstück herumtrieb und vielleicht der gefährlichen steilen Terrassentreppe
zu nahe kam, ohne dass jemand in ihrer Nähe war und dies bemerkte.
    Später aber hatte ihr Vater die Gitterstäbe wieder entfernen lassen. Sie
erinnerte sich daran, dass er irgendetwas von einem Gefängnis gesagt hatte. Und
dieses Haus sollte kein Gefängnis sein.
    Janett sah die dunkle Gestalt unmittelbar vor dem Fenster und ging auf sie
zu. Sie sah, wie das starre Gesicht, das sich plötzlich von ihr entfernte, im
Nebel verschwand.
    »Vater«, rief sie. »Vater!«
    »Komm, Janett«, klang es zurück. »Komm herüber!«
    Die kühle Nachtluft strich über ihr Gesicht und bewegte das duftige Gewebe
ihres knöchellangen Nachtgewandes.
    Sie fröstelte. Ihre Neugierde war geweckt. Sie wollte dem Vater nachlaufen.
Schlafen konnte sie sowieso nicht. Und wenn ihr Vater schon draußen war, dann
konnte sie auch bei ihm sein.
    Sekundenlang war sie unschlüssig. Ihr Blick ging zur Tür, hinter der der
Raum von Schwester Gila lag. Alles dort war ruhig.
    Janett setzte die nackten Füße über die Fensterbank und fühlte den
feuchten, kalten Boden unter ihren Fußsohlen. Sie stieg über die flache
Brüstung, ging langsam in den Nebel hinein in die Richtung, in der sie den
Vater hatte davongehen sehen.
    Warum wartete er nicht?
    Sie sah wieder die graue, schemenhafte Gestalt und begann zu rennen, um sie
nicht aus den Augen zu verlieren.
    Jetzt war sie links. Die Gitterstäbe, die das Rund der Terrasse
absicherten, kamen in ihr Blickfeld. Die graue Gestalt stand auf der oberen
Stufe der schmalen Treppen.
    Winkte sie nicht? Nein, jetzt war sie verschwunden, als hätte der Boden sie
verschluckt.
    »Vater!« rief Janett mit leiser, kindlicher Stimme. Und sie streckte die
Hände aus. Sie fühlte die Kälte nicht, die durch ihr dünnes Gewand kroch und
kam der Treppe näher, starrte in die nebelumwogte Tiefe und konnte vielleicht
sechs oder sieben Stufen weit sehen. Sie hörte das Tosen der Brandung, das aus
der Tiefe hochstieg.
    Plötzlich stieg der Trotz in ihr auf. Nein, es war ihr verboten, diese
Stufen zu gehen. Sie wandte sich einfach um. Da war es ihr, als ob die graue
Gestalt hinter dem Wirtschaftsgebäude verschwinde.
    Sie strengte ihre Augen an, aber sie konnte nichts mehr erkennen. Ein
seltsames, kindliches Lächeln hellte ihre Züge auf. Der Vater spielte mit ihr,
er neckte sie, er versteckte sich vor ihr. Und sie sollte ihn suchen. Das
hatten sie oft so gemacht.
    Sie rannte quer über den taufeuchten Rasen, blieb an einem Rosenbusch
hängen, und das Nylongewebe zerriss bis hoch an ihre Kniekehlen. Doch sie
rannte einfach weiter, auf die andere Seite des Grundstücks. Die breiten Wipfel
knorriger Eichen rauschten über ihr, hohe Pappeln ragten wie schwarze Fackeln
in den dunklen, bewölkten Nachthimmel.
    Janett sah das große Rechteck des Swimmingpools hinter den Buchsbäumen und
Blumenbeeten.
    Die graue, schemenhafte Gestalt, die sie aus dem Zimmer gelockt hatte, war
und blieb verschwunden!
    Janett blieb stehen, sie suchte, sie rief ... niemand antwortete ihr. Dann
vergaß sie, wo sie sich befand. Das Vergessen kam ganz plötzlich über sie. Sie
irrte unter den dunklen Bäumen umher, auf den Rasenflächen und Beeten, auf den
schmalen asphaltierten Wegen, und sie wusste nicht mehr, wie sie aus diesem
Nebel herausfinden sollte.
     
     

4. Kapitel
 
 
     
    »Vater!«
    Eve Baynes zuckte zusammen. Sie hörte das Wort

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