025 - Die Treppe ins Jenseits
und grundlos, aber
Schwester Gila wusste auf alles eine Antwort.
»Ich bringe sie auf ihr Zimmer«, meinte sie dann. »Sie ist zu müde.« Auch
Dr. Ortskill war der Ansicht. Er begleitete seinen Schützling bis an die
Zimmertür. Dies schien das Zeichen für einen allgemeinen Aufbruch zu sein.
Eve Baynes zeigte ihren Gästen die Zimmer, in denen sie die Nacht
verbringen konnten. Das seltsame Testament ihres Vaters bestimmte, dass alle
für die nächsten achtundvierzig Stunden auf diesem Grundstück anwesend waren.
Es waren mehr als genug Räumlichkeiten vorhanden. Doch Larry wunderte sich,
dass Eve sämtliche Gäste im Erdgeschoss unterbrachte.
»Warum quartieren Sie niemanden oben im ersten Stock ein?« fragte er sie,
als er Gelegenheit dazu hatte.
Sie sah ihn mit einem scheuen Blick an. »Die Räume im ersten Stockwerk sind
belegt, Larry.«
»Belegt?« Wenn sich Larry Brent in diesem Augenblick in einem Spiegel gesehen
hätte, wäre er über den merkwürdigen Gesichtsausdruck erstaunt gewesen.
Eve Baynes versuchte ein schwaches Lächeln. Doch es wirkte verzerrt. »Mein
Vater hat dort eine Sammlung untergebracht. In allen dreizehn Räumen. Die Türen
sind verschlossen. Diese Sammlung war eine Art Heiligtum ... für ihn . Er ging stets allein nach
oben.«
Larry folgte unwillkürlich ihrem Blick. Die breiten Treppen in die oberen
Räumlichkeiten waren mit einem dicken roten Teppich belegt. Die oberste Stufe
war durch eine goldene Kordel überspannt, die von einem Treppengeländer zum
anderen reichte. Das Symbol für eine Schranke. Hier hatte niemand
weiterzugehen.
Die Türen lagen im Dunkeln, doch Larry erkannte, dass sie keine Klinken
hatten und diese Räumlichkeiten mit bestimmten Schlüsseln zu betreten waren.
Larry hätte zu gern gewusst, welche Sammlung Edward Baynes dort untergebracht
hatte, doch Eve ließ sich nicht weiter darüber aus. Sie wusste etwas, doch sie
schwieg aus einer noch unerklärlichen Scheu.
Auch Larry Brent erhielt sein Zimmer zugewiesen. Es war der Raum
unmittelbar neben dem Treppenaufgang. Ein kleines, freundliches, sauberes
Zimmer.
Larry stand mit Eve Baynes noch auf der Türschwelle, als sich Thomas Mylan
zu ihnen gesellte.
»Alle scheinen müde zu sein«, bemerkte er. Er hatte eine etwas raue, aber
dennoch klare Stimme, ein dünner, grauer Haarkranz bedeckte seinen glänzenden
Schädel. »Ja, der heutige Tag war für manchen recht anstrengend. Die
Vorbereitungen, die Fahrt ... Sie werden sich bestimmt auch ein wenig ausruhen
wollen, Miss Baynes, nicht wahr?« Er beugte sich zu Eve herab.
»Ja, wahrscheinlich lege ich mich auch noch eine oder zwei Stunden hin«,
antwortete sie.
»Tun Sie das, Miss Baynes, tun Sie das! Ich selbst werde mich bemühen, die
notwendigen bürokratischen Dinge wirklich nur auf ein Minimum zu beschränken.
Ich werde mir noch ein wenig die Beine vertreten. Ich habe den ganzen Tag
gesessen. Ein kleiner Spaziergang draußen in der frischen Luft wird mir guttun.
Vielleicht treffe ich auch Ihren Onkel, Mister Orwin Baynes. Es könnte ja sein,
dass er jeden Augenblick mit seinem Wagen jetzt auch eintrifft.«
Thomas Mylan verließ das Haus. Die äußere Tür klappte leise ins Schloss.
Für eine Sekunde war Ruhe im Haus. Doch dann schrie eine Mädchenstimme
gellend auf. Es war Janett, die tobte.
Dr. Ortskill kam sofort aus seinem Zimmer. Auch Nicole Mercier tauchte auf.
Sie trug ein Negligé, und die feine Spitzenwäsche darunter zeichnete sich
deutlich ab. Für einen Augenblick stand sie unschlüssig auf der Schwelle zu
ihrem Zimmer, dann drehte sie sich um, als sie erkannte, dass Janett Baynes
geschrien hatte. Sie zog die Tür hinter sich zu.
Die Stimme von Janett hallte durch das ganze Haus. Ein gläserner Gegenstand
krachte auf den Boden. Dann ging Janetts Stimme in ein leises Wimmern über. Dr.
Ortskill verließ gut fünf Minuten später den Raum, in der Hand hielt er eine
Spritze. Bevor die Tür zuklappte, erkannte Larry Brent Janett Baynes, die im
Bett saß. Schwester Gila legte sie vorsichtig nach hinten. Janett war jetzt
vollkommen ruhig.
Eve und Larry sahen sich an. Auf Eves Stirn standen feine Schweißperlen,
und ihre Hände zitterten ein wenig.
»Ich habe Angst vor den vor uns liegenden Stunden, Larry«, sagte sie leise,
und es klang, als könne sie in die Zukunft sehen.
Allan Carter warf sich unruhig auf
die andere Seite. Aus der Tiefe seines Bewusstseins stieg irgendetwas auf, was
er nicht richtig zu erfassen vermochte. Er
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