0250 - Pandoras Botschaft
den Kopf, deutete auf meinen Mund. Mehr konnte ich nicht, denn eine Antwort zu geben, war nicht drin. Der Schnaps erlaubte es nicht. Er brannte noch in der Kehle nach.
»Hat er dir gemundet, John?«
»Und wie. Aber man muß sich nach einem Schluck kurz erholen.«
Der Mönch nickte gedankenverloren. »Das habe ich dem Bruder auch gesagt. Ich glaube, er hat ihn ein wenig zu stark gemacht, der Gute.«
»Und das sagst du erst jetzt?«
»Tut mir leid, aber ich wollte sehen, wie ein normaler Mensch darauf reagiert.«
»Da kommt man nichtsahnend her, und schon ist man ein Versuchskaninchen.«
Pater Ignatius hob den Finger. »Das passiert nur bei Freunden.«
Ich gab mich erstaunt. »Dann möchte ich gern einmal wissen, was ihr euren Feinden anbietet.«
»Darüber will ich nicht reden, John.« Er ließ sich neben mir nieder und hob die Schultern.
»Gleich ist die Beerdigung«, sagte er. »Wir haben Bruder Clemens hochbringen lassen. Wirst du an der Totenfeier teilnehmen, John?«
»Natürlich. Ist die Leiche normal?«
»Ja, wieso?«
»Ich kann dein Erstaunen verstehen«, erwiderte ich, »aber ich frage aus einem bestimmten Grund. Der Mann ist durch eine Garbe aus einer Maschinenpistole gestorben. Das kann auf Lady X hindeuten, muß aber nicht. Und da es sich bei ihr um einen Vampir handelt, wäre es möglich, daß sie das Blut getrunken hat.«
»Ja, das kann sein.« Der Pater stützte sein Kinn auf die offene Fläche der rechten Hand. Während er die Antwort gab, starrte er in das kleiner gewordene Feuer. »Nur will ich nicht so recht daran glauben.«
»Hast du einen Grund?«
Der Pater wand sich. »Grund ist zuviel gesagt. Weißt du, wir haben es hier wohl mit einer anderen Magie zu tun, nicht mit der eines Vampirs.«
»Jetzt verstehe ich nichts.«
Pater Ignatius schaute mich sehr ernst an. »Was ich dir jetzt sage, darüber habe ich bisher mit keinem geredet, und ich möchte dich bitten, es für dich zu behalten.«
»Ehrensache.«
»Es geschah während unserer Frühandacht«, begann mein frommer Freund und erzählte mir von seiner Vision. Ich hörte sehr genau zu.
Viele hätten darüber gelächelt. Ich hütete mich, dies zu tun. Nein, wenn der Pater so ernst redete, dann hatte das schon seine Bedeutung.
»Glaubst du mir?« fragte er zum Schluß. Ich nickte.
Er atmete schnaufend aus. »Das habe ich gehofft, mein Freund. Und ich bin tatsächlich nicht übergeschnappt, wenn du das vielleicht meinst. Es gibt diese weibliche Person, diesen Geist, wenn ich ihn mal so nennen darf.«
»Dann hast du einen Verdacht?« stellte ich fest.
»Den habe ich in der Tat.«
»Rede.«
»Kennst du die griechische Mythologie?«
Ich hob die Schultern. »Was man halt so von der Schule behalten hat. Aber das ist nicht viel.«
»An Pandora wirst du dich erinnern.«
»Klar. Die Frau mit der Büchse oder dem Füllhorn. Schönheit und Grauen zu einer brisanten Mischung gepaart.«
»Das stimmt genau, John. Sie soll aus Lehm erschaffen worden sein. Der Göttervater Zeus hat ihr Leben eingehaucht und sie mit allen Vorzügen ausgestattet, die zu einer Frau gehören. Aber er wollte die Menschen strafen, und zwar durch sie strafen, denn die Menschen hatten Prometheus dazu überredet, das Feuer zu stehlen. Während Prometheus furchtbar für seinen angeblichen Frevel bestraft wurde - man band ihn an einen Felsen, und ein Adler kam jede Nacht und hackte ihm die immer nachwachsende Leber aus dem Leib -, ging Pandora mit ihrer Büchse oder dem Tonkrug zu Prometheus’ Bruder Epimetheus. Von den Reizen dieser Frau geblendet, nahm Epimetheus Pandora in sein Haus auf, wo sie das Gefäß öffnete und Übel und Krankheit über die Menschheit schickte.«
Ich nickte. »Ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Es ist eine schlimme Geschichte, aber die Mythologie der Griechen war nun mal verdammt grausam. Ist den Prometheus von dem Felsen, an den er geschmiedet war, nicht befreit worden?«
»Ja, von Herakles.«
»Du hast dich gut informiert, Bruder Ignatius«, sagte ich und blieb, in Gedanken versunken, sitzen. »Deine Vision kann eine große Bedeutung haben«, murmelte ich.
»Welche?«
»Ich weiß es noch nicht so genau. Vielleicht spielt Atlantis eine Rolle. Denn Prometheus hing auch irgendwie mit Atlas zusammen, nach dem der Kontinent Atlantis seinen Namen erhalten hat.«
»Das stimmt.«
»Nur frage ich mich, wie Lady X in diese ganze Sache hineinpaßt. Sie ist meiner Ansicht nach ein Störfaktor.«
»Kann es Zufall sein?«
»Möglich.
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