0260 - Die Mitternachts-Hexe
von einer Seite seines Bettes auf die andere. Sein Atem ging rasselnd und schüttelte seine geteerten Luftwege kräftig durch.
Er mußte husten, stand auf, ging ans Fenster und spuckte den Schleim, der sich über Nacht in seinem Mund angesammelt hatte, hinaus auf den Hof.
Am Himmel stand die Sonne wie ein bleiches Auge, das vergeblich gegen den Morgendunst anzukämpfen versuchte. Ihrem Stand nach mochte es etwa neun Uhr sein.
Tim O’Healys Blick fiel auf den Lieferwagen, der vor dem großen Lagerschuppen geparkt war. Die hintere Ladefläche war noch nicht geleert.
Er versuchte sich zu erinnern, wann und wie er nach Hause gekommen war. Zwangsläufig fiel ihm dabei auch sein irrsinniger Traum ein, der ihn in der Nacht geplagt hatte und wahrscheinlich für seinen unausgeschlafenen Zustand verantwortlich war.
Richtig echt war ihm alles vorgekommen: die unheimliche Fremde, die blutend neben ihm im Auto gesessen hatte…
Kopfschüttelnd sah der Schrotthändler an sich herab und stellte fest, daß er sich in der Nacht nicht einmal mehr die Zeit zum Auskleiden genommen hatte. In Overall und Stiefeln hatte er im Bett gelegen.
Wenn man da keine Alpträume bekam…
Was er jetzt zu allererst brauchte, war eine kalte Dusche und ein ordentliches Frühstück.
Brummend verließ er das Schlafzimmer und suchte die angrenzende Küche auf.
Tim O’Healy lebte allein. Eine Frau, die bereit war, sein karges Leben ohne Höhepunkte zu teilen, hatte er nie gefunden. Und wenn er ehrlich war, hatte er auch nie richtig danach gesucht.
Während er darauf wartete, daß das Kaffeewasser auf dem Herd zu kochen anfing, pilgerte er zunächst einmal zum Kühlschrank und holte sich ein Fläschchen Guinness heraus. Auch das gehörte zu seiner gewohnten Morgenprozedur. Bierdurst hatte er immer.
Anschließend wechselte er hinüber ins Badezimmer und drehte schon mal die Kaltwasserdusche an. Auf dem Weg zurück zur Küche entledigte er sich teilweise seiner Kleidung, nahm den pfeifenden Wasserkessel vom Herd und brühte den Kaffee auf. Dann eilte er wieder ins Bad, zog sich gänzlich aus und stieg unter den harten Duschstrahl, der so eisig war, als käme er direkt aus einem wilden Gebirgsbach.
Das weckte die Lebensgeister.
Tim O’Healy war kein empfindlicher Mensch.
Doch als er dann die Dusche abstellte, prustend das Wasser von sich abschüttelte und vor den Toilettenspiegel trat, packte es ihn mit namenlosem Grauen.
Sein Gesicht im Spiegel verzog sich zu einer Grimasse des Wahnsinns. Mit flackerndem Blick starrte er auf das münzgroße, rötlich glühende Mal auf seiner Stirn, das mit einem Mal wieder alle Ereignisse der Nacht in ihm aufwirbelte und in einem völlig anderen Licht erscheinen ließ.
»Kein Traum!« krächzte der Schrotthändler.
Kein Traum…
Und dann, als er mit dem Gesicht zögernd noch dichter an den Spiegel heranging, um das häßliche Stigma näher zu betrachten, entdeckte er plötzlich etwas, was ihm den Rest gab.
Taumelnd wich er vor seinem Spiegelbild zurück, schlug die Hände vors Gesicht und spürte mit wachsendem Entsetzen, wie sich das Fleisch unter seinen Fingern zu verändern begann…
***
Tim O’Healy konnte sich nicht wehren. Das Böse nahm Herrschaft über ihn! Das Hexenmal auf seiner Stirn gab ihm die Macht dazu.
»Ich will nicht… Nein! Ich will nicht…« kam es röchelnd über die Lippen des schwergewichtigen Mannes. Seine Hände waren längst von seiner Gesichtshaut zurückgezuckt. Nun fuchtelte er in sinnloser Erregung damit durch die Luft, in dem Irrglauben, die bösen Geister, die nach ihm griffen, damit fernhalten zu können.
Plötzlich war die Stimme der Lia Fail in ihm.
»Ich sagte doch, daß ich dich brauche«, dröhnte die Stimme der Hexe in seinem Kopf. Das Stigma auf seiner Stirn pulsierte im Takt ihrer Worte. »Du und der Junge, ihr seid meine ersten Diener. Ihr dürft den KEIM weitergeben.«
Welcher Junge? dachte O’Healy. In seinem Körper war ein seltsam taubes Gefühl. Ich bin krank, dachte er weiter und vergaß den Jungen, den die Hexe erwähnt hatte. Aber er wagte nicht, noch einmal in den Spiegel zu schauen.
Er flüchtete aus dem Bad ins Schlafzimmer, noch immer nackt.
Er hatte nicht gedacht, daß es dort einen noch größeren Spiegel gab.
In panischer Angst zuckte er vor dem grotesken Wesen zurück, das wie aus dem Boden gewachsen vor ihm stand. Erst als er an sich herabblickte, merkte er, daß er diese haarsträubende Gestalt angenommen hatte…
»Großer
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