0263 - Das Syndikat der toten Seelen
Laine, dem Kerl von der Kartonagenfabrik, der möglicherweise Stanley Queerd versteckt hat, im Zuchthaus gesessen.«
»Stimmt«, nickte Phil. »Ich habe ihn sofort erkannt nach dem Bild, das auf seiner Karteikarte war, die wir ja bei uns im Archiv gesehen haben.«
Ich griff in die Hosentasche.
»Was ist los?« fuhr Phil fort. »Warum fahren wir nicht?«
»Mein Namensvetter hat mir heimlich einen Zettel zugesteckt. Augenblick — da ist er.« Ich faltete den Zettel auseinander. In einer hastigen' Schrift war daraufgekritzelt: »Muß Sie unbedingt sprechen! Sehr wichtig! Heute abend kurz nach sechs, Vorraum Gloria-Kino, ganz in der Nähe!«
Phil hatte den Text mitgelesen. Jetzt lehnte er sich zurück.
»Wie sagte Funny Issy?« murmelte er. »Irgendwas tut sich. Jetzt spüre ich es selber schon in den Fingerspitzen. Ich fühle mich wie vor einem drohenden Gewitter…«
Wenn er recht behalten hätte! Wenn es nur ein Gewitter gewesen wäre! Aber es wurde ein Sturm daraus, ein richtiger, ein höllischer Sturm…
***
Kurz nach 11 Uhr vormittags einigten sich sechs Bandenchefs, daß sie ihre Gangs zu einer Superbande zusammenschmelzen wollten. Die sechs Bosse waren:
Tony Edwards, in der Unterwelt bekannt unter dem Namen »Lony-Tony«. Trotz der Gleichheit der Familiennamen mit Dean Edwards, der sich Paul Rusky nannte, bestand zwischen den beiden keine Verwandtschaft, wie später festgestellt werden konnte. Auch kannten sich die beiden nicht.
Als zweiter figurierte Brian O’Kelly, genannt »Kau-Kelly«, weil seine Kiefer unablässig in Bewegung waren Der dritte war Bloyd Morgan, der zu den spärlich gesäten Unterweltlern gehörte, die ganz im Gegensatz zu den meisten aus unerfindlichen Gründen nie einen Spitznamen erhalten.
Als vierter stimmte Henry Ward dem Plan, zu. Er wurde bei der populären Kurzform seines Vornamens »Hank« gerufen.
Der fünfte schließlich war Herbert Laine, der auf den Gedanken verfallen war, mittels einer kleinen Kartonagenfabrik eine bürgerliche Existenz vorzutäuschen, an der er in Wahrheit nie interessiert war. Es ging ihm lediglich darum, der Polizei die Rolle des reuigen, auf ewig gebesserten Zuchthäuslers konsequent vorzuspielen. Bei einer späteren Buchprüfung ergab sich, daß er diese Rolle so konsequent gespielt hatte, daß selbst alle Steuern der Fabrik auf Heller und Pfennig genau bezahlt waren.
Der sechste Mann endlich hatte keinen Namen. In der Unterwelt, in den Verbrecherkarteien mehrerer Bundesstaaten, in Gerichts- und Polizeiakten erschien er unter dem Kennwort THE GREY — der Graue. Er hatte schon mehrere Male vor Gericht gestanden. Jedesmal hatte er einen anderen Namen angegeben und eine andere Geschichte seiner Herkunft erzählt. Jedesmal war er dabei überführt worden, daß er gelogen hatte. Aber es gelang niemals, seinen wirklichen bürgerlichen Namen zu erfahren. Seine wahre Identität ist heute noch ein Geheimnis. Vielleicht sogar ist er niemals getauft worden, vielleicht wurde er schon als kleines Kind von seinen Eltern ausgesetzt oder was immer für Möglichkeiten es da geben mag. Niemand wußte und niemand weiß, wer der Graue war.
Diese sechs Männer also beschlossen die Vereinigung ihrer Banden, um ein Stadtgebiet zu kontrollieren, in dem fast eine Million nichtsahnender Bürger lebt: nämlich den gesamten Ostteil von Manhattan, einschließlich des südlichen Zipfels der Insel bis herab zur Battery.
Aber nur einer von diesen sechs Männern wußte damals schon, daß er und die ganze Supergang-Gründung nichts als Werkzeug und Plan eines großen Unbekannten waren, eines Unbekannten, der sich vorgenommen hatte, aus New York einen Hexenkessel zu machen…
***
Kurz vor 12 Uhr mittags meldeten sich Phil und ich bei unserem Distriktschef, weil wir es für angebracht hielten, ihm vom Stand unserer Ermittlungen Kenntnis zu geben.
»Setzt euch«, sagte Mr. High und erkundigte sich sofort nach dem Verbleib von Detektiv-Leutnant Matthew.
»Keine Spur«, erwiderte ich. »Phil hat gerade erst mit Matthews Dienststelle gesprochen. Auch dort hat man noch keine Fährte finden können.«
Mr. High sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. Dann hob er den Kopf und fragte sehr direkt:
»Welche Folgerungen zieht ihr daraus?«
Ich preßte die Lippen aufeinander. Matthew war verheiratet. Er hatte zwei Kinder. Ich wollte es nicht aussprechen. Aber es half nichts. Wir mußten den Tatsachen ins Auge blicken.
»Mit jeder Stunde, die vergeht, wird die Wahrscheinlichkeit
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